Theaterpremiere in Wien : Zu schwer für diese Welt
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Karoline (Marie-Luise Stockinger) lässt ihren Kasimir (Felix Rech) stehen Bild: Matthias Horn
Zu schwer füreinander: Mateja Koležnik inszeniert Horvaths „Kasimir und Karoline“ am Wiener Burgtheater. Kein schlechter Abend, aber statt ums Gemüt geht es ihm vor allem um Stimmung.
Der Geschäftsführer von JP Immobilien wohnt in einer Dachgeschosswohnung in Wiens erstem Bezirk. Es gibt Samt, gebürstete Bronze und einen Esstisch aus Mooreiche. Von dort oben schaut Geschäftsführer Jelitzka abends mit ruhigem Gewissen aus dem Fenster auf seine Stadt. Rund 120 Häuser gehören seiner Firma hier. Luxusobjekte mit Wohneinheiten, die bis zu 18.000 Euro pro Quadratmeter kosten. JP Immobilien bietet ihren Kunden einen besonderen Service, das sogenannte Staging. Je nach Wert der Wohnung, in einer Preisspanne von 300 bis 1600 Euro je Quadratmeter, richten ihre Makler die Räume virtuell ein. Meist reicht den Kunden ein 3-D-Blick in die „Trophy Rooms“, also die Wohn- und Schlafzimmer und das Bad, um eine Entscheidung zu treffen. Trophäen-Räume – bringt ein Wort den abscheulichen Wettkampfcharakter der derzeitigen Immobilienwelt besser zum Ausdruck?
Im Programmheft von „Kasimir und Karoline“ am Wiener Burgtheater wirbt JP Immobilien mit jenem Motto, das Horváths Volksstück vorangestellt ist: Da „die Liebe nimmer aufhöret“ und nach Kasimir noch Benedikt und Daniel und nach Karoline vielleicht Juliane und Mathilda kommen, braucht man ständig andere Wohnungen, also JP Immobilien, die einem stets aufs Neue die „Trophy Rooms“ einrichtet. Der beruhigende Slogan lautet: „Wir haben was für Sie.“
Millionen verhungern
Für Kasimir hätten sie nichts. Der Chauffeur ist gerade „abgebaut“ worden. Inmitten von Wirtschaftskrise und Inflation hat er seine Anstellung verloren. Als tieftrauriger Mensch steht er jetzt auf dem Münchner Oktoberfest und verdirbt seiner vergnügungssüchtigen Verlobten den Spaß. Wenn die jauchzend einen Zeppelin beobachtet, brüllt er: „Ich scheiß Dir was auf den Zeppelin. Da fliegen droben zwanzig Wirtschaftskapitäne und herunten verhungern derweil einige Millionen.“
Die Luft ist voller Wiesenmusik, aber die gebratenen Hühnchen sind viel zu teuer. Die alte Hoffnung der Saturnalien, nach der die Herren Diener und die Diener Herren werden, bleibt unerfüllt. Im Gegenteil: Obwohl alle dieselben Lieder grölen, treten die Klassenunterschiede auf dem Fest nur noch deutlicher zutage. Der eine will in seine Hütte gehen, um sich aufzuhängen, der andere kann mit dem offenen Cabriolet nach Altötting fahren. Der andere, das ist in diesem Falle nicht der Geschäftsführer Jelitzka, sondern der Kommerzienrat Rauch. Zu ihm fühlt Karoline sich hingezogen, weil sie an einer „höheren gesellschaftlichen Stufe“ interessiert ist. Und weil dieser Rauch sagt, die Zukunft sei eine „Beziehungsfrage“, lässt die Büroangestellte ihren pessimistischen Kraftfahrzeugführer stehen und steigt mit dem dicken Kapitalisten ins Cabriolet.
Horváth selbst nannte sein Volksstück, das im Dezember 1931 fertiggestellt, 1932 in Leipzig uraufgeführt und 1935 erstmals in Wien gezeigt wurde, rückblickend eine „Ballade der Arbeitslosigkeit“. Sein Wesen ist gekennzeichnet durch eine handfeste Poesie charakterlicher Fehlerhaftigkeit, ist getragen von der allgegenwärtigen Deformation zwischenmenschlicher Bindungen, ist bedrückend durch die Vorführung jenes brutalen Automatismus, nach dem Geist und Leben einzig vom finanziellen Sachstand abhängen.