Ein Bob-Dylan-Abend : Lagerfeuer im Preisnebel
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Es hätte so schön werden können: Antonia Bill, Raphael Dwinger, Luca Schaub, Boris Jacoby und Roman Kaminski in einer Szene der „Danksager“ Bild: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de
Das Berliner Ensemble feiert mit einem schrägen Bob-Dylan-Abend den Meister. Vor lauter Ehrfurcht und Mitgefühl vergaßen seine Schöpfer Leander Haußmann und Sven Regener die entscheidende Frage.
Selten kam der Vorhang im Berliner Ensemble so prächtig zur Geltung – leuchtend rot, samtig schwer, mit elegant geschwungenem Querbehang und kostbaren goldfarbenen Bordüren zum Boden hin. Und das ausgerechnet in Bertolt Brechts einstigem Theater, wo eher die schmucklose, zweckmäßige Brecht-Gardine zu erwarten wäre. Was dann passiert, hat freilich mit Pomp und Pathos nur sehr vermittelt zu tun. Denn in „Die Danksager. Bunter Abend“ bringen Leander Haußmann und Sven Regener, bei dieser Uraufführung gemeinsam für Text und Regie verantwortlich, zehn Imitatoren von Bob Dylan auf die Bühne. Drei Frauen sind darunter, ein Rollstuhlfahrer, der kleinwüchsige Darsteller Peter Luppa mit einer Ukulele, und altersmäßig kann man den Liedermacher bei Felix Strobel jugendlich mit Röhrenhosen und als „alter Mann“ bei Roman Kaminski im weißen Anzug am Klavier entdecken.
Während diese Mehr-oder-Minder-Doppelgänger für einen Unterhaltungsabend vorsingen wollen, platzt die überraschende Nachricht herein, dass dem originalen Bob Dylan gerade der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wurde. Ab jetzt denken alle, völlig aus dem Konzept gebracht, darüber nach, wie er darauf reagieren würde: Mit welchen Worten, welcher Haltung er der schwedischen Akademie danken würde? Oder eben vielleicht gar nicht? Obwohl Luca Schaub als „Bob Dylan 7“ mit E-Gitarre beteuert, Dylans Lyrik hätte „keinen Subtext“, sie sei ganz ohne Spielchen und Zweideutigkeiten (ausgerechnet!), jonglieren Haußmann und Regener natürlich so wohl weißlich und kokett wie gekonnt und vergnügt damit: Sie sagen in diesem Stück nämlich auch dem scheidenden Intendanten Claus Peymann, der das Haus seit 1999 leitet und in diesem Sommer aufhört, ade und danke. Haußmann wurde einige Male von ihm engagiert und ist eine treue Seele.
Auf dem Umweg über Dylans Nobelpreis werden außerdem Debatten über die Freiheit der Kunst angezettelt und ob Künstler überhaupt Auszeichnungen, ob dotiert oder nicht, entgegennehmen sollten. Hinzu kommen überdies popkulturelle Fragen wie die, ob der Rock’n’Roll in die Hochkultur abwandern kann, wann Jugenderinnerungen peinlich werden und warum die Mundharmonika angeblich das meist verachtete Instrument der Welt ist. Dazwischen taucht Martin Seifert als trübsinniger Dramaturg auf und verbreitet mit einer mobilen Maschine dicke Nebelschwaden, denn: „Es geht nicht ohne Nebel bei ihm.“ So scherzen und kalauern sich Haußmann und Regener durch den Abend, wie sie dies schon bei gemeinsamen Filmen („Herr Lehmann“, „Hai-Alarm am Müggelsee“) taten.
Die entscheidende Frage vergessen
Die Bewunderung für Bob Dylan ist offensichtlich, wenngleich sie sich nicht unbedingt in den musikalischen Darbietungen zeigt. Da werden die Songs von „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ (1962) bis zu „Knockin’ On Heaven’s Door“ (1973) stramm und zackig und gleichförmig im Chor geschmettert, dass es jeder Wandervogelgruppe zur Ehre gereichen würde. Norbert Stöß als der Assistent bei diesem Casting haut immer wieder feste auf die Trommel, Karla Sengteller als junge Assistentin lacht über den Enthusiasmus der dylanesken Truppe, singt dann trotzdem selbst schön ironisch „It Ain’t Me, Babe“. Carmen-Maja Antoni tritt im dunklen Anzug als geheimnisvoller „General“ auf, der die Fäden zieht, gern herumschreit und nie die Kantine aufsucht. Als Inspiration für diese Figur hat gewisslich Claus Peymann gedient, und deswegen ist es nicht erstaunlich, dass sie eine Fernbedienung in der Hand hat, mit der sie Licht und Techniker, Akustik und Vorhang per Knopfdruck bedienen kann. Antonia Bill, Claudia Burckhardt, Traute Hoess, Raphael Dwinger, Matthias Mosbach und Boris Jacoby greifen allesamt zackig in die Saiten. Sie balancieren ihre Hüte mit Würde und strahlen, ob mit Sonnenbrille oder Schnurrbart, egoistisch oder sozial, weinerlich oder zimperlich, ihren individuell-speziellen Dylan-Touch aus.
Später öffnet sich die Bühne bis zur nackten Brandmauer und gibt den Disputen über Musik und Theater, über Kunst und Kommerz einen weiten, existentiell gemeinten Raum. Sven Regener sind ein paar komische Szenen und witzige Dialoge eingefallen, Leander Haußmann bringt sie mit und ohne Drehbühne halbwegs in Schwung, jedoch nie wirklich auf Touren. Der Abend versinkt einerseits in hübsch ausgestalteter Melancholie, ist aber andererseits trotz der pfiffigen Grundidee inhaltlich-dramatisch arg dünn geraten.
Und vor lauter Ehrfurcht und Mitgefühl vergaßen seine Schöpfer die entscheidende Frage: Warum hat Bob Dylan den Nobelpreis eigentlich nicht einfach abgelehnt? Jean-Paul Sartre tat dies 1964 aus persönlichen und politischen Gründen und weil er ein freier Mann bleiben wollte. In ewig pubertärer Romantik ist hier davon keine Rede. Am Ende kauern sich alle um das improvisierte Lagerfeuer, welches das jüngste Double aus Holzstühlen entfacht hat. Der General schaut zu, lässt den Eisernen Vorhang herabsinken, worauf der Chor nur noch durch Lautsprecher hoch oben aus den Rängen zu hören ist. Allerdings steckte er das Publikum nicht an – in der Premiere zumindest hat niemand mitgesungen.