Oper „Hiob“ : Gottes verzeihliche Güte
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Am Boden, aber nicht aufgegeben: Alexander Kaimbacher als Mendel Bild: Karlheinz Fessl
Streckenweise überraschend tonal: Bernhard Langs Oper „Hiob“ nach Joseph Roth wird in Klagenfurt uraufgeführt.
Mendel hat den Tod, Mendel hat den Wahnsinn, Mendel hat den Hunger, alle Gaben Gottes hat Mendel. Aus, aus, aus ist es mit Mendel Singer.“ Diese Anklage legt Joseph Roth in seinem Roman „Hiob“ (1930) ausgerechnet einem gottesfürchtigen, jüdischen Thora-Lehrer in den Mund, der sein Schicksal einfach nicht mehr tragen kann.
Beginnend mit der Geburt eines epileptischen Sohnes, Menuchim, erlebt Mendel Singer, ähnlich wie der biblische Hiob, einen Rückschlag nach dem anderen: den Zwang, durch bittere materielle Not aus dem fiktiven Berg-Schtetl Zuchnow im Westen der heutigen Ukraine nach Amerika zu emigrieren; den Verlust zweier Söhne im gerade tobenden Ersten Weltkrieg; den Tod seiner aus Gram früh verstorbenen Frau Deborah; die psychische Erkrankung der Tochter Mirjam; schließlich seine unendliche Einsamkeit in der ihm völlig fremden Stadt New York. Vor allem aber quält Mendel Singer das unklare Schicksal Menuchims, den er wegen dessen Erkrankung in Zuchnow zurücklassen musste. Solch eine Bürde lässt ihn schließlich zweifeln an einem gütigen Gott.
Den österreichischen Komponisten Bernhard Lang faszinierte dieser von Joseph Roth in unvergleichlich poetischer Sprache erzählte Roman schon seit Langem. Zumal Roth in „Hiob“ paradigmatisch die Schicksale vieler – auch heute – auf der Flucht befindlicher Menschen schildert. Die bereits zur Entstehungszeit der Oper (2017/18) voll im Gang befindlichen Fluchtbewegungen gewannen durch den Ukrainekrieg eine noch größere Intensität und der Stoff mithin eine noch brennendere Aktualität. Angesichts des Leids vieler Geflüchteter verbot es sich für Lang von selbst, jene Loop-Techniken in den Vordergrund zu stellen, die der philosophisch geschulte Komponist im Anschluss an die Lektüre von Gilles Deleuzes „Differenz und Wiederholung“ in einer stattlichen Werkreihe angewandt hatte. Gemeinsam mit dem Librettisten Michael Sturminger, der auch Regie führte bei der pandemiebedingt verschobenen Uraufführung von „Hiob“ am Stadttheater Klagenfurt, konzipierte Lang eine Oper, die ganz anders tönt als seine bisherigen Bühnenwerke und dennoch materiale Errungenschaften der früheren Stücke auf subtile Weise integriert.
Am überraschendsten ist vielleicht der Einsatz volksmusikalischer Elemente wie Klezmer. Dazu hatte Lang sogar in ethnologischen Archiven gestöbert, um Aufnahmen aus den Zwanzigerjahren zu transkribieren. Natürlich werden diese Folklore-Einsprengsel nicht bloß eins zu eins eingesetzt. Durch perkussive Effekte, nicht nur der drei in seitlichen Logen platzierten Schlagzeuger, sondern auch durch spezielle Bogentechniken der Streicher und slapartige Stakkati der Bläser wird die vermeintlich heile Volksmusik unterwandert. Verfremdungseffekte kommen auch durch mikrotonale Intervalle der Streicher und eines vierteltönig gestimmten Synthesizers ins Spiel. Da entstehen immer wieder sukzessiv dichter werdende, dunkle Klangflächen.
Dennoch wirkt „Hiob“ phasenweise überraschend tonal, zumal es Lang – neben einem Zitat aus Puccinis „Madama Butterfly“ – auch riskiert, eigene Melodien zu komponieren, etwa als Deborah ihrem kranken Sohn ein Wiegenlied singt. Im zweiten Akt dominieren dann zunächst Jazzelemente, die ein Jazztrio mit Synthesizer, Kontrabass und Drum-Set spielt. Dadurch wird das weit hektischere Leben New Yorks vermittelt und der Kontrast zum dörflichen Leben geschärft. Im Finale der im Zeitraffer von eindreiviertel Stunden erzählten Tragödie, als Mendel Singer einsam verzweifelt, beginnt sich die sonst oft großorchestrale Musik stark auszudünnen und gerade in der beklemmenden Stille größte Intensität zu entfalten. Als dann völlig unerwartet der genesene Menuchim als erfolgreicher Dirigent mit seinem Orchester in New York gastiert, um seinen Vater aufzusuchen, bleibt nur noch Mendels a cappella ersterbende Stimme. Geschickt lassen es Lang und Sturminger offen, ob er vor Glück dahinscheidet oder bloß erschöpft einschläft.
Melodisch, ohne banal zu werden
Sturminger, der bereits 2010 die Theaterfassung des Hiob-Stoffs von Koen Tachelet am Wiener Volkstheater inszeniert hat, reduziert dessen Text in seinem Libretto noch weiter, gleichsam auf ein skelettiertes Handlungsgerüst. Zwar vermisst man die vielschichtige Sprache Joseph Roths, doch werden die Konfliktebenen in dieser ungeschönt-puristischen Version umso drastischer sichtbar. In seiner szenischen Umsetzung hält sich Sturminger vornehm zurück, trägt nie zu dick auf und verfällt auch keinem psychologisierenden Sozialkitsch. Zwei auffällige Elemente dominieren die von Renate Martin und Andreas Donhauser bewusst abstrakt-karg gestaltete und in Schwarz gehaltene Bühne: Im ersten Akt schwebt ein waagerechter Balken niedrig über einem quadratischen Podium, im zweiten dreht er sich in die Vertikale und ist aufgerichtet, erst dörfliche Enge, dann New Yorks Skyline symbolisierend.
Meistens als Schatten im dunkelviolett gefärbten Hintergrund steht der von Günter Wallner vorbildlich einstudierte Chor, der nur an entscheidenden Stellen an die Protagonisten herandrängt, gleichsam als deren innere Stimmen. Tim Anderson am Pult des hörbar engagierten Kärntner Sinfonieorchesters hat die Partitur fest im Griff. Auch das Sängerensemble vermag zu überzeugen, allen voran der Tenor Alexander Kaimbacher als textdeutlicher Mendel, Katerina Hebelková als Deborah und der fabelhafte Countertenor Thomas Lichtenecker als Menuchim.
Mit alledem gelang dem Klagenfurter Stadttheater eine beachtliche Aufführung und Bernhard Lang der Beweis, dass neue Musik sich auch melodische Elemente erlauben kann, ohne banal zu werden.