Bayreuther Festspiele : Nehmt bloß keine Gurken von Ortrud
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Ortrud (Stéphanie Müther, rechts) bequatscht Elsa (Brit-Tone Müllertz). Bild: Emilie Mayer
Der „Lohengrin“ für Kinder ist in Bayreuth ein Krimi mit Popcorn, Boxkampf und Zeit zum Zuhören. Aber auch bei Wagner darf gelacht werden.
Blau natürlich, was sonst. Milchblau, nachtblau, veilchenblau, bläulingsblau, blau, so blau wie der Enzian ist das Bühnenbild von Zoe Leutnant für den Kinder-„Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen. Schließlich leuchtet die Bühne von Neo Rauch und Rosa Loy für den aktuellen Erwachsenen-„Lohengrin“ ja auch durch und durch blau, ganz wie Lohengrin, der Ritter in Blau, und wie das Vorspiel zu Richard Wagners „Lohengrin“, über das einmal geschrieben wurde, dass man in ihm ein opalisierendes Blau hören könne.
Das Bühnenbild für Kinder ist eine Dachlandschaft aus neubarocken Giebeln, Fenstern, Türen, Schornsteinchen und einem Gewächshaus, worin Ortrud – Stéphanie Müther mit Kittelschürze und ameisenbärenschwanzartig aufgeblähter Monica-Lewinsky-Frisur – ihre Gurken gießt. Aber die tut bloß so, die Ortrud. Harmlos ist die nicht. Davon später.
Ein alter Schlager, aber nicht von Wagner
Erst mal: „Blau ist die Nacht, und der Mond am Himmel, schau, wie er lacht.“ Das ist ein alter Schlager, aber nicht von Wagner. Nur Elsa und Gottfried stehen tatsächlich auf dem Dach, während das Orchester unter der Leitung von Azis Sadiković das Vorspielblau durch den Saal der Probebühne 4 wehen lässt, und schauen in den Mond. Bis die Pauke zuhaut. Zack! – ist Gottfried weg. An der Hauswand leuchtet, als Trickfilmprojektion, ein gnatziger, zappelnder, schimpfender Schwan auf. Die Kinder auf den Sitzstufen hauen sich gegenseitig auf die Schultern, zeigen mit dem Finger auf den Schwan und lachen sich Kringel an die Bäuche.
Der kleinwüchsige Schauspieler Manni Laudenbach als Ermittler namens „Heerrufer“ und Oleksandr Pushniak als Kommissar namens „König Heinrich“ („Heinrich König“ ginge wohl auch) klären für die Kinder die Situation: „Hier in Brabant ist was passiert: Gottfried ist weg! Zum Glück sind wir beide Detektive. Wir müssen Gottfried wiederfinden.“ In den Kostümen von Christiaan Harris sehen die zwei ein wenig aus wie der Hauptmann von Köpenick.
Die junge Regisseurin Lea Willeke und ihre Dramaturgin Marlene Schleicher erzählen „Lohengrin“, abgestimmt mit der künstlerischen Leiterin Katharina Wagner und dem musikalischen Bearbeiter Marko Zdralek, als Kinderkrimi. Daniel Kirch als Lohengrin spricht sein Publikum direkt an, ob es ihn auch nicht verraten werde; es dürfe ja niemand wissen, wer er sei und wo er herkomme. Als ein Streiter für Elsa im Gottesurteil gesucht wird, fragt Manni Laudenbach, ob es im Saal jemanden gäbe, der gegen Telramund im Boxkampf antreten würde. Ja, na klar, viele! Lässt doch kein Junge auf sich sitzen, diese Frage. „Okay, jetzt nicht, ich versprech euch, wir kämpfen nach der Vorstellung zusammen.“ Stattdessen macht Lohengrin das Ding klar.
Aber neben dem, was Kinder sehen wollen, gibt es auch das, was sie hören sollen: Richard Wagners Musik und seine besondere Sprache. Das Vorspiel, das zu dem Schönsten gehört, was sich Wagner überhaupt je ausgedacht hat, kommt leicht gekürzt. Brit-Tone Müllertz singt mit zaubrisch-silbrigem Timbre den Traum der Elsa, Daniel Kirch als Lohengrin, stark und sanft zugleich, durchdringend deutlich, trägt im Verhör die gekürzte Gralserzählung vor. Und Michael Kupfer-Radecky als Schornsteinfeger Telramund mutet, finster singend, den Sechs- bis Zehnjährigen Worte wie „Knabe“, „Kleinod“ und „lustwandelnd“ zu, bis er explodiert: „Des Brudermordes zeih’ ich sie“, nämlich Elsa, die nun in der Patsche sitzt.
Die Forderung nach Konzentration und das Bedürfnis nach lachender Entfesselung sind von Willeke und Schleicher perfekt austariert worden. Selbst Erwachsene können sich vielleicht ein Grinsen nicht verkneifen, wenn Lohengrin im Brautgemach vor dem Kofferfernseher auf dem Sofa sitzt und Popcorn mampft, während Elsa ihn fragt: „Wie soll ich dich denn nun nennen? Schnullibums? Schatzi?“
Ein Paar werden die beiden nicht, ganz wie im richtigen Leben, bei Wagner. Aber Ortrud wird als böse Zauberin verhaftet und muss den Schwan wieder in Gottfried zurückverwandeln. Nach dem Schlussakkord brennt die Erzkomödiantin (von welcher Ortrud kann man das schon sagen) Stéphanie Müther einfach durch. Manni Laudenbach fängt sie ein: „Ortrud, hiergeblieben! Verbeugen!“