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Ballettpremiere in Paris : Albtraumtänzerei

  • -Aktualisiert am

Manon Parent in „Scarbo“ Bild: Jean-Baptiste Bucau

Ioannis Mandafounis, der designierte Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company, schenkt seiner Tänzerin Manon Parent ein betörend nachtschwarzes Solo: „Scarbo“ im Théâtre de la Ville in Paris.

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          In Frankfurt wird die Zeitrechnung der „Dresden Frankfurt Dance Company“ jetzt mit dem Ende des Direktorats von Jacopo Godani umgestellt. Die erste Spielzeit des neuen Leiters Ioannis Mandafounis zählt nicht ab dem Januar 2024, sondern mit Beginn der Theaterspielzeit. In den nächsten Monaten wird der in Athen geborene und mit seiner Company in Genf ansässige Tänzer-Choreograph an den Main umziehen und die Proben für seine erste Premiere im Herbst aufnehmen. Seit Monaten plant und wirbt er um neue Sponsoren für das Ensemble. In Paris ist jetzt im Espace Cardin, einem Spielort des Théâtre de la Ville, dessen Tanzdirektorin Claire Verlet Mandafounis seit Jahren protegiert, ein ganz besonderes Stück des Einundvierzigjährigen zu sehen, einmal kein Gruppenstück, sondern ein herausragendes Solo für eine seiner Protagonistinnen.

          „Scarbo“ heißt es, und Ioannis Mandafounis hat es für die ihm aus langer Zusammenarbeit vertraute Tänzerin Manon Parent geschaffen, die in Turnschuhen, dunkelblauem Top und einem dunkel schimmernden Falten-Minirock sportlich hereinspringt, ungeschminkt ins Publikum lächelnd, wie um den Stücktitel ad absurdum zu führen. Denn „Scarbo“ ist eigentlich ein Gnom, ein Kobold, ein Nachtgeschöpf oder Dämon zwergenhafter Gestalt – das Gegenteil dieser schönen jungen Frau. Je länger sie tanzt, umso tiefer begreift man, es geht um den Alb, der nachts auf ihrer Brust sitzt, und den sie tanzend abzuschütteln oder auszutreiben versucht.

          Den Erinnerungen standhalten

          Das Stück bezeugt dramatisch, wie es gelingen kann, sich mit den eigenen traumatischen Erinnerungen zu konfrontieren – um nicht an ihnen zu zerbrechen. „Scarbo“ erlaubt es seiner Tänzerin, sie zu teilen im Rahmen einer ästhetischen Erfahrung, mit Zuschauern, die kaum mit solchen heftigen Offenbarungen gerechnet haben mögen, aber berührt und am Ende begeistert reagieren. Maurice Ravels virtuose, in Teilen als praktisch unspielbar geltende Klaviermusik „Gaspard de la Nuit. Trois poèmes für Klavier“ kommt in einer Einspielung von Ivo Pogorelich vom Band. „Scarbo“ ist ein Teil aus „Gaspard“. Ravel wählte als titelgebende Inspiration drei Gedichte von Aloysius Bertrand, „Undine“, „Der Galgen“, und eben den „Gnom“. Düstere und dramatische, gespenstische Stimmungen evoziert die Musik, die Ravel schrieb, während er mit ansah, wie sein Vater nach einem Schlaganfall langsam dem Tod entgegentrieb.

          Ekstase, Kampfsport und klassische Ausbildung: Manon Parent
          Ekstase, Kampfsport und klassische Ausbildung: Manon Parent : Bild: Jean-Baptiste Bucau

          Mandafounis und Parent haben in ihrem nicht einmal einstündigen, konzentrierten Stück genauso wenig dem Zufall überlassen wie Ravel beim Schreiben. Nicht umsonst wählten sie Ivo Pogorelichs Interpretation dieser Stücke. Der 1958 in Belgrad geborene, zerrissene Sohn eines kroatischen, katholischen Vaters und einer serbischen Mutter, der mit dem Klavierspielen um die Jahrtausendwende Geld sammelte, um den Kindern und Müttern von Sarajewo ein Krankenhaus zu bauen, ist für die Abgründigkeit und dunkle Leidenschaftlichkeit seiner Interpretationen berühmt auch in der Tanzwelt. Ohne seine Einspielung von Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 32 in c-Moll Opus 111 hätte Mats Ek 2012 nicht das Abschiedsstück „Bye (Ajö)“ für die größte Ballerina des zwanzigsten Jahrhunderts, Sylvie Guillem, choreographiert.

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