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Puccini in Hamburg : Beklemmend kluger Witz

  • -Aktualisiert am

Suor Angelica (Elena Guseva) besingt das Kind, das sie schmerzhaft vermisst. Bild: Brinkhoff/Mögenburg

Drei ganz unterschiedliche Geschichten hat Giacomo Puccini in seiner Oper „Il trittico“ zusammengestellt. An der Hamburgischen Staatsoper verbindet der Regisseur Axel Ranisch sie subtil und schlüssig zu einer einzigen.

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          Diese alten Opernheinis, die da gebuht haben, die haben mal wieder nichts verstanden“, spottete ein junger Mann, der während der Pause für ein Glas Wein in der Schlange stand. Der Protestlärm – „Wir sind hier in der Oper“ – richtete sich gegen eine lange, eine sehr lange Video-Einspielung, mit welcher der Regisseur Axel Ranisch bei seiner Hamburger Inszenierung von Giacomo Puccinis „Il Trittico“ eine neue Figur einführt: Chiara de Tanti. Dieser fiktiven Frau ist, wie durch die Stimme des Regisseurs angekündigt, dieser Opernabend gewidmet, den das Publikum miterleben und miterleiden soll. Regisseure wie Tom Tykwer und Gustav Peter Wöhler, der Schauspieler Devid Striesow, Teresa Harder in der Rolle einer Agentin und einige andere Weggefährten erinnern sich an die große Schauspielerin, die, wie ihr redender Name sagt, für alle die Strahlende, die Helle, die Hübsche war.

          Die Videos dienen als Rahmenhandlung und erinnern an Wegmarken ihrer Laufbahn: an ihren ersten Auftritt in einer italienischen Sitcom der Neunzigerjahre, bei dem sie den berühmten Komödianten Silvio Bonta kennen und lieben lernt – „Gianni Schicchi“. An ein düsteres Arthouse-Melodram, in dem Bonta als Charakterdarsteller reüssieren will und vor ihr ausgestochen wird, die Ehe scheitert – „Il Tabarro“. An ihre eigene Tragödie, als sie nach dem Selbstmord ihres Sohnes mit der Rolle der Ordensschwester eine Rolle spielen soll, die sie dazu bringt, sich mit dem Leben-Lieben-Leiden der Figur zu identifizieren – „Suor Angelica“. Dass die Erinnerungs-Elogen dieser „Mockumentary“ (Ranisch) mit dem Wichtigkeitstonfall intoniert werden, wie er etwa aus Nachrufen auf Romy Schneider bekannt ist, hat den Charme und Witz kluger Parodie.

          Es sind kluge, subtile motivische Verknüpfungen von Leben und künstlerischer Arbeit ebenso wie von inneren thematischen Bezügen. Zum Beispiel dann, wenn der Michele aus „Il tabarro“, der sich nach dem Tod seines Kindes von seiner Frau entfremdet und sie schließlich aus Eifersucht ermordet hat, in „Suor Angelica“ als Büßer am Grab von Angelicas Kind zum Gebet niederkniet. Während „Gianni Schicchi“ und „Il Tabarro“ als Opernfilme aufgeführt werden, beginnt „Suor Angelica“ mit der Vorbereitung des Films, der nicht realisiert werden kann. Der Dialog zwischen Angelica und der hartherzigen Fürstin (La zia Principessa), von der sie vom Tod ihres Kindes erfährt, wird vor der Tür von Stage 3 geführt: Er wird auf beklemmende Weise zum Realgeschehen, zur Kunst-Wahrheit. Die letzte Szene mit dem Suizid Angelicas begibt sich auf einen Friedhof. Für jede der drei Opern hat Falko Herold eindringliche Bühnen- und Farbräume geschaffen: ein Wimmelbild für die Komödie, eine Film-Noir-Szenerie für das Schauerstück und Kontraste zwischen Filmstudio und dem Totenacker.

          Eine besondere Freude bereitet das Hamburger Orchester unter dem italienischen Dirigenten Giampaolo Bisanti. Er ist seit 2016 Chefdirigent am Teatro Petruzzelli in Bari und seit 2022 an der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich und dirigiert in aller Welt. Fehlte es in „Gianni Schicchi“ – wie im vergangenen Jahr in Salzburg zur Eröffnung gespielt – an Fluss, Nuancen und Pointen, wurden die Spannungen des dramatischen Reißers in düsteren Farben beklemmend deutlich. Ebenso überzeugend der Wechsel vom dramatischen Reißer zur verinnerlichten lyrischen Tragödie „Suor Angelica“.

          Stimmliche Gebrauchsspuren hörbar

          Mit Roberto Frontali war für Gianni Schicchi, den Erbschleicher, und für Michel, den Mörder aus Verzweiflung, der italienische Bariton Roberto Frontali aufgeboten. Dass am Klang der Stimme Gebrauchsspuren zu erkennen sind, ist hinnehmbar, weniger hingegen, dass er dieser Parlando-Partie den Pointenwitz schuldig bleibt, wenn er als Mann aus dem Volke seinen Spott über die nach Geld gierenden Patrizier der Donati-Familie auskostet. Für den Michele fehlen ihm zu Beginn im Duett mit seiner Frau Giorgetta die fahlen Farben von Enttäuschung und Verzweiflung ebenso wie für die Explosionen der Eifersucht, wenn er gegenüber dem Liebhaber seiner Frau „confessa, confessa“ wütet. Die Rollen der Giorgetta in „Il Tabarro“ und Angelica sind mit Elena Guseva glänzend besetzt. Die russische Sopranistin besitzt eine schön timbrierte Spinto-Stimme mit einer dunklen Mittellage und einer leuchtenden Höhe. Imponierend, wie sie das hohe A am Ende der „Senza Mamma“-Arie pianissimo ausklingen lässt und dann alle Klangreserven für die Verzweiflungsekstasen nutzen kann.

          Der aus Taschkent gebürtige Najmiddin Mavlyanov ist ein Weltreisender für Rollen, für die es einen tenore di forza braucht. Er fürchtet nichts als das Piano, aber mit dem Charme eines Liebhabers kann er nicht aufwarten. Mit der Sopranistin Narea Son und dem Tenor Oleksij Palchikov waren Lauretta und Rinucccio und die Due amanti („Il tabarro“) ansprechend besetzt, auch wenn die Sopran-Partien mehr Süße verlangen und die des Tenors die Qualitäten eines di grazia.

          Katia Pieweck, seit Jahren der Mezzosopran des Hamburger Ensembles, bewährte sich einmal mehr als Zita („Schicchi“) und als La zia Principessa ohne alle Routine-Exaltationen eines Weibsteufels. Dass auch kleinste Partien große Möglichkeiten bieten, bewies Hellen Kwon, seit Langem eine Zierde des Ensembles, als Nella („Schicchi“) und als La suora zelatrice. Ein schöner, überraschender und anregend-gedankenreicher Abend.

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