Oper „Aus dem Totenhaus“ : Neue Wege in die Aussichtslosigkeit
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Eine Gruppe Gefangener empfängt im Straflager den Neuankömmling Alexandr Petrovič Gorjančikov (Gordon Bintner). Bild: Barbara Aumüller
Keine Hölle zum Wohlfühlen: David Hermann inszeniert „Aus einem Totenhaus“ in Frankfurt als Metapher auf die politische Lage in der Türkei.
Mit „Abstraktion und Einfühlung“, dem Titel eines schon 1907 entstandenen Hauptwerks des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer, ist das Programm vieler Theaterarbeit knapp, aber treffend beschrieben: „Realismus“, psychologisch grundiert, wird gegen eine übergreifende Konstruktion gesetzt. Identifikatorisches Gefühl oder distanzierende Objektivität bilden die Pole, die es so plan natürlich nicht gibt. Expressionistisches „O Mensch“-Pathos und Brechts Modell-versuche schließen einander nicht partout aus; was die Regieprobleme gerade nicht mildert – zumal bei einem so exterritorialen Musiktheater wie Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“, das schon seit den sechziger Jahren mit wachsendem Einfluss die Opern-Spielpläne prägt.
Von der Entstehungszeit her wie im Topos der Trostlosigkeit ließe es sich am ehesten mit „Wozzeck“ von Alban Berg vergleichen, was allerdings trügerisch ist. Denn Bergs „Oper des sozialen Mitleids“ lebt aus der narrativen Einheit wie aus dem Angebot des Mitempfindens, der Empathie für Wozzeck, Marie und das Kind. Solch emotionale Psychologisierung bietet das „Totenhaus“ weit weniger. Sosehr das Grauen dominiert, es bleibt ein Rest von Distanz zum paritätischen Aufblättern der Schreckens-Schicksale. Obwohl sich Janáček mit Fjodor Dostojewskis sarkastischem Resümee über das Leben im russischen Straflager nicht identifizieren mochte: „Ohne Arbeit hätten die Arrestanten einander aufgefressen wie Spinnen in einem Glas“.
Zwischen Solschenizyn und Schnitzler
Gleichwohl bestimmt schonungslose Härte die Partitur in ihrer füllstimmenfreien Schattenlosigkeit, ihrer ekstatisch zuckenden Ruhelosigkeit, kurzum: ihrer Verweigerung quasilyrischer Einfühlungsmöglichkeiten: Man muss die Mörder nicht zu Sympathieträgern machen. In den Dramen von Jean Genet, einige Jahrzehnte später, ist dies eher angelegt. Janáčeks Mischung aus oft schrill obsessiven Ostinato-Kürzeln in den Extremregistern und episch additiver Dramaturgie bleibt für die Regie indes nicht folgenlos: Muss sie doch der schroffen Kontinuität der Musik mit Prägnanz der Personenführung begegnen.
Der Regisseur David Hermann hat an der Frankfurter Oper mit den drei frühen Einaktern von Ernst Krenek vor einem Jahr Modellbeispiele einer dezidiert heterogenen Ästhetik mit klaren Genre-Kontrasten geliefert; nun ist mit Janáček das Gegenteil gefragt, was ihm nicht minder eindrucksvoll gelingt. Auf realistische, gar naturalistische Konkretisierung eines zaristisch-sibirischen Straflagers bei Omsk am Irtysch hat er verzichtet, stattdessen auf geometrisierende Kinetik gesetzt, die via Drehbühne helle Pforten der Hölle sich abwechseln lässt. Doch der Hintergrund, wahrer Horror-Innenraum, bleibt schwarz. Beim abstrakten Mobile belässt er es allerdings ganz und gar nicht, holt vielmehr die aktuelle Politik in die hehre Kunst: Goriantschikow – bei Janáček ein politischer Gefangener – ist bei Hermann ein Journalist, der mit seiner Frau überfallen und ins Lager verschleppt wird. Türkei-Assoziationen sind durchaus angebracht.