Folgenreicher Brautraub: Max Simonischek (Peer Gynt) überwältigt Paula Hans (Ingrid). Bild: Birgit Hupfeld
Peer Gynt in Frankfurt : Zwiebels Traum
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Als hätte sich David Lynch in den Cirque du Soleil verirrt: Andreas Kriegenburg inszeniert Henrik Ibsens Versdrama über den Borderliner „Peer Gynt“ in der deutschen Fassung von Peter Stein und Botho Strauß.
Dieser Peer ist ein Borderliner wie aus dem medizinischen Lehrbuch. Ein manischer Lügner und notorischer Ichsucher, ein Menschenflüsterer und Größenwahnsinniger, dessen Psychopathologie in der dysfunktionalen Familie bereits angelegt ist: Der Vater (Sebastian Reiß) trinkt, der Hof ist heruntergewirtschaftet, und Peers kalt liebende Mutter Aase (Katharina Linder) schreckt nicht davor zurück, den Sohn zur Ehe mit der reichen Gutstochter Ingrid (Paula Hans) zu drängen, um das Familienschicksal noch einmal zu wenden. Peer erfüllt den Mutterauftrag, mischt sich als Hochzeits-Crasher unter die Festgemeinde, und sogar Ingrid lässt sich auf den Brautraub ein, um dann nach der ersten Nacht schon wieder verstoßen zu werden.
So treibt es Henrik Ibsens Peer Gynt immerzu, mit Frauen, mit Männern, später mit Geschäftspartnern, mit Trollen. Wer ihm zu nah kommt, den sticht der junge Norweger wie der Skorpion den Frosch mit tödlicher Wirkung, weil er nicht anders kann. Es ist seine Natur, und mehr noch als allen andern macht er sich selbst etwas vor. Wer er ist, wer er sein soll, was das Gyntsche Ich im Innersten zusammenhält, das treibt ihn um und im Laufe seines Lebens bis ans Ende der Welt: „Sei du selbst“ oder „Sei dir selbst genug“, dazwischen taumelt er und will großmachtsphantasierend doch ein Drittes sein: der Kaiser der Welt, darunter macht er es nicht.
In der Psychiatrie gelandet
Andreas Kriegenburg hat Ibsens Versdrama in fünf Akten über den legendären Herumtreiber und Geschichtenerzähler in eine untergründige Wahnlandschaft versetzt. Auf der weitläufigen Bühne des Frankfurter Schauspiels entfaltet sich auf zwei Spielebenen in knapp fünf Stunden ein Stationendrama aus hochallegorischen Bildern, tänzerischen Choreographien, märchenhaften Kostümen (Andrea Schraad) und suggestiver Musik, als habe sich der Filmsurrealist David Lynch in den Cirque du Soleil verirrt.
Gespielt wird unter der Verwendung der Übersetzung von Christian Morgenstern und Georg Schulte-Frohlinde die deutsche Fassung des Ibsen-Stoffes von Peter Stein und Botho Strauß, die einst 1971 mit ihrem an zwei Abenden aufgeführten „Peer Gynt“ die legendäre Ära der Berliner Schaubühne begründeten.
Die Bühne in Frankfurt hat Harald B. Thor in zwei horizontale Ebenen unterteilt, die jeweils effektvoll hoch- und runterfahren können. Die untere Welt, das ist hier die in grelles Weiß getauchte Psychiatrie. Inmitten von Verrückten, Zitternden und Kranken, die sich mitunter für Ärzte halten, liegt Peer Gynt reglos in seinem Rollbett, von den Schwestern mit Psychopharmaka ruhiggestellt. Vater, Mutter und auch Solveig sind zugegen. Das Bauernmädchen (Sarah Grunert), das Peer so selbstlos liebt und verspricht, alle Tage auf ihn zu warten, hat ihr blondes langes Haar gegen eine moderne Frisur eingetauscht und kümmert sich um den komatös vor sich hindämmernden Peer mit besitzergreifender Fürsorge.