Innsbrucker Festwochen : Rauschgoldengel als irdische Bengel
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Ramiro Maturana und Dioklea Hoxha in „L'empio punito“ Bild: Birgit Gufler
„L’empio punito“ von Alessandro Melani, 1669 uraufgeführt, ist die erste Oper nach dem Don-Juan-Stoff aus Spanien. In Innsbruck ist sie Anlass für ein Fest, bei dem man sich auf hohem Niveau amüsieren kann.
Seit die Figur des mythischen Frauenhelden und Draufgängers Don Juan zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts die Theaterwelt aufgemischt hat, geistert sie durch die europäische Literatur- und Musikgeschichte. Die erste Dramatisierung des Stoffs wird dem spanischen Mönch und Autor Tirso de Molina zugeschrieben. Fortan hat die Geschichte vom skrupellosen Verführer und Betrüger, der schließlich vom „steinernen Gast“ zur Strecke gebracht wird, immer wieder zu neuen künstlerischen Bearbeitungen gereizt. Auf die Opernbühne kam sie erstmals 1669 in Rom. „L’empio punito“ („Der bestrafte Frevler“) heißt das Dramma per musica von Alessandro Melani (1639 bis 1703), das den gewaltbereiten Wüstling unter dem Namen Acrimante am Hof eines antiken Phantasie-Mazedoniens sein Unwesen treiben lässt.
Bei den Innsbrucker Festwochen Alter Musik wurde nun diese 1986 wiederentdeckte, 2003 von Christophe Rousset beim Leipziger Bachfest vorgestellte Vertonung des Sujets von einer hochkarätigen Nachwuchstruppe präsentiert. Wegen der Corona-Pandemie hatte man die Produktion der Reihe „Barockoper: Jung“, die traditionell an der Universität im Innenhof der Theologischen Fakultät gezeigt wird, ins neue Haus der Musik verlegt. Das Libretto von Filippo Acciaiuoli und Giovanni Filippo Appoloni wartet mit raffinierter Szenenfolge, spitzer Ironie und derben erotischen Anspielungen auf. Wie in der venezianischen Operntradition jener Zeit gibt es neben den Hauptfiguren viele kleinere Rollen. Fast alle in späteren Fassungen des Stoffs variierten Zutaten, die sich lange auch im Repertoire improvisierender Theatergruppen gehalten haben, sind hier als Topoi schon vorhanden. Die turbulent verwickelte Handlung wird in Rezitativen und zahlreichen Kurzarien mit poetischen Texten unterhaltsam erzählt. Einige Duette und reizende instrumentale Zwischenmusiken sorgen für zusätzliche Abwechslung.
Die genial auf einfachste Mittel setzende Innsbrucker Inszenierung von Silvia Paoli lebt vom Charme des Provisorischen. Auf Andrea Bellis Bühne erscheinen zur tänzerischen Einleitungsmusik hoch über drei grauen Wänden vier Amoretten mit blondem Lockenschopf, Flügelchen, kurzen Lederhosen und roten Turnschuhen. Auch die anderen Kostüme von Valeria Donata Bettella kombinieren barocke Optik mit Anleihen bei Tiroler Trachten. Die Rauschgoldengel erweisen sich bald als verkappte Stallknechte, die bei Melani sarkastisch verfremdend das Geschehen kommentieren. Hier lenken sie an roten Schnüren von oben als himmlische Puppenspieler die ins Rennen geschickten Protagonisten, kollidieren dabei miteinander oder baldowern aus, welche Marionette jeweils auf die Bühne muss. Gelegentlich mischen sie sich als ziemlich irdische Bengel unter ihre Figuren und bringen deren ohnehin chaotische Liebeshändel durcheinander.
Mariangiola Martello dirigiert Melanis vokal stets kantable, farbig instrumentierte Musik umsichtig vom Cembalo aus. Das kleine „Barockorchester: Jung“ mit zwei Violinen, Viola da gamba, Cello, Violone, zwei Blockflöten, Fagott und zusätzlichem Cembalo bezaubert mit sattem Sound und betörenden Soloeinlagen. Großartig meistert die schwedische Mezzosopranistin Anna Hybiner den einst für einen Soprankastraten komponierten Part des notorischen Schürzenjägers Acrimante. Wie sie haben auch die anderen Mitglieder des jungen Gesangsensembles im vergangenen Sommer erfolgreich am Innsbrucker Cesti-Wettbewerb teilgenommen. Dioklea Hoxha führt als Ipomene (die Donna Anna der Melani-Version) ihre leuchtende Sopranstimme souverän durch die Register. In gewichtiger Mezzo-Lage verkündet Natalia Kukhar als deren Gatte Cloridoro und Jäger im Dienste des Königs, er könne jetzt kein Auge für sie haben. Das muss er freilich bitter büßen. Bei erster Gelegenheit geht Ipomene ausgerechnet mit Acrimante fremd.
Als theatralische Atamira (Mozarts Elvira) wendet sich Theodora Raftis mit einem herrlich klagenden Lamento an alle erdenklichen Götter. Andrew Munn preist als König Atrace mit tief knarzenden Basstönen seine Freiheit von Regierungspflichten, um gleich darauf stimmlich recht schüchtern in die Liebesfalle zu tappen. Wie Leporello erweist sich Acrimantes Diener Bibi als Schlitzohr und abergläubischer Angsthase – eine Rolle, die dem klangvoll singenden und brillant spielenden Bassbariton Lorenzo Barbieri wie auf den Leib geschrieben ist. Köstlich zelebriert er bei einer urkomischen Balkonszene seinen absehbaren Absturz.
Auch der Tenor Joel Williams als alte Amme Delfa, Rocco Lia als basskräftiger Fährmann Caronte und Juho Punkeri als königlicher Berater Tridemo, der von Acrimante fies abgemurkst wird und als rächende Statue zurückkehrt, überzeugen vokal und szenisch. Nach makabren Sexspielen im vermeintlichen Sarg wird der scheintote Lüstling, der noch im Angesicht der Hölle scharf wird und sein loses Maul nicht bändigen kann, von einem Obdachlosen in einen Einkaufswagen gepackt und als Orfeos frecher Bruder zu schaurigen Tönen in die Unterwelt befördert. Erst jetzt merkt er, dass es für ihn keine Wiederkehr gibt. Oder sollte er als Don Giovanni doch entkommen sein?