Publikum deutscher Orchester : Der Kampf um Abonnenten lohnt sich
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Neue Formate mit neuem Publikum: David Claessen, Dirigent, und Samson auf der Bühne im Großen Saal im Familienkonzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters zum 50. Geburtstag der Sesamstraße Bild: dpa
Nach Corona kehrt das Publikum in die Konzerte deutscher Orchester zurück, aber langsamer als gedacht. Besonders Ältere haben noch immer Angst vor Ansteckung, wie Zahlen der Deutsche Musik-und Orchestervereinigung zeigen.
Das Publikum kehrt zurück, aber der Stand aus der Zeit vor Corona ist noch nicht wieder erreicht: So lässt sich das Ergebnis einer Befragung zusammenfassen, die die Deutsche Musik- und Orchestervereinigung „unisono“ durchführte. Sämtlichen 129 Konzert- und Opernorchestern in Deutschland wurde ein Fragebogen vorgelegt, nur von sechs Klangkörpern kam keine Antwort: ein repräsentatives Bild zu den Trends im Befragungszeitraum Dezember 2022 und Januar 2023. Knapp sechzig Prozent der Orchester gaben an, dass die Aufführungen im Durchschnitt schlechter besucht seien als zuvor, vierzig Prozent beobachteten eine in etwa gleich gute Auslastung, fünf Orchester berichteten sogar von einer besseren Auslastung.
Solche Erfolge, so die Selbstauskunft der Klangkörper, hätten mit gezielten Werbe- und Marketingmaßnahmen zu tun, mit traditionell erfolgreichen Produktionen und neuen Konzertformaten, die man ins Programm genommen habe. Wenn Besucher fehlen, habe das mit der Vorsicht des älteren Publikums zu tun, das aus Sorge vor einer Ansteckung den Besuch größerer Säle nach wie vor meide.
Das schlägt sich auch in den Zahlen der Abonnements nieder. Bei knapp siebzig Prozent der Klangkörper hat die Zahl der Abonnenten abgenommen im Vergleich zum März 2020, als die Corona-Pandemie begann, bei dreißig Prozent der Orchester ist sie in etwa gleich geblieben. Gründe dafür sehen die Klangkörper zum einen wiederum in der Sorge des älteren Publikums vor Ansteckung, stärker aber noch – von fünfundsiebzig Prozent erwähnt – in der Unterbrechung einer Gewohnheit: Nach dem Aussetzen der Abonnements während des Lockdowns seien viele frühere Abonnenten nicht mehr zurückgekommen. In Zeiten, da selbst die Berliner Philharmoniker Werbung für ihre Abonnements machen müssen, schlägt die Stunde von Marketing und direkter Kundenbetreuung. Wie weit man damit kommt, führt das Theater Bielefeld vor, das sich stabil bei viertausend verkauften Abonnements bewegt und sogar einen leichten Zuwachs verzeichnen kann. Dort wurde nach der Corona-Pandemie jeder einzelne Abonnent per Brief und Telefon kontaktiert, mit Erfolg.
Und so sagt auch Gerald Mertens, der Geschäftsführer der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung: „Ich sehe das Abonnement nicht als tot an. Aber es bedarf einer intensiven Kundenpflege. Lässt man sich als Orchester darauf ein, dann hat man die Abonnenten auch wieder.“ Was das ältere Publikum angeht, erwähnt Mertens eine Möglichkeit, die zu wenig genutzt werde: langjährige Gäste, die etwa aus Mobilitätsgründen ihr Abonnement aufgeben, für Online-Übertragungen zu gewinnen – so sie denn vom Klangkörper angeboten werden.
Der Druck, sich um sein Publikum bemühen zu müssen, setzt auch Kreativität frei. So hat bald die Hälfte der befragten Orchester neue Konzertformate ins Programm aufgenommen: Late-Night-Konzerte etwa nach dem eigentlichen Konzert oder Filmmusikaufführungen zu Stummfilmen. Auch das 1:1-Konzert, bei dem ein Musiker für nur einen Zuhörer spielt, eine Paradedisziplin der Corona-Zeit, führt seine Karriere fort. Übrigens weltweit, wie Gerald Mertens berichtet. Das Format, erfunden noch vor Corona bei den Sommerkonzerten im thüringischen Volkenroda, ist mittlerweile eine geschützte Marke.
Weiterhin hoch ist der Existenzdruck für freischaffende Musiker. Zwar hat sich die Lage etwas gebessert durch die Aufführungen in der Weihnachtszeit, die wieder ungehindert stattfinden konnten. Die Veranstalter, die Freischaffende engagieren, seien gezwungenermaßen aber noch vorsichtig, berichtet Mertens, die Ungewissheit etwa über die Höhe der Ticketeinnahmen sei nach der Corona-Zeit noch hoch und das unternehmerische Risiko schwer abzuschätzen. Aus diesem Grund sammelt die Deutsche Orchesterstiftung auch in dieser Saison wieder für die Musikernothilfe, die während der Corona-Pandemie aufgelegt wurde. 227 000 Euro wurden seit Oktober schon eingesammelt.