Als die Welt noch voll Zukunft war: Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie in den Räumen des Ensembles an der Schwedlerstraße in Frankfurt am Main im Januar 2020. Bild: Achim Reissner
Der Dauerlockdown zwingt eine Branche in die Knie: Ein Fünftel der Nachwuchsmusiker will den Beruf aufgeben. Für die Orchester in Deutschland wird das Folgen haben.
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Schmid, Ludwig, Enlin: Fast zwei Dutzend Namen sind in das glänzende Holz des Barockcellos von Marieke van Dijk [Name geändert, d. Red.] eingeritzt. Außerdem Jahreszahlen, zum Beispiel 1817, 1819, 20–24. Das historische Instrument stammt vermutlich aus der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, sagt die junge Musikerin. „Mein Cello hat Napoleon überlebt und zwei Weltkriege.“ Sie lächelt traurig. Die Cellistin kam aus den Niederlanden nach Bremen, „weil Deutschland das Land der klassischen Musik ist“, wie sie sagt. Nun muss sie hier ihren Traum begraben; Corona hebt ihr bisheriges Leben aus den Angeln.
Die Dreißigjährige spielt seit ihrem fünften Lebensjahr Cello – jeden Tag im Musikunterricht nach der Schule, dann Proben am Wochenende im Streichquartett, sie übt sechs Stunden oder mehr am Tag. Die hochtalentierte Cellistin macht ihren Bachelor in Norditalien, das Master-Studium der Alten Musik in Bremen. „Eine Pandemie kommt sicher für niemanden zu einem guten Zeitpunkt, in meinem Fall ist das Timing aber besonders schlecht.“ Im Frühjahr werden verschobene Konzerte erneut verschoben, schließlich ganz abgesagt; das Frühjahrs-Konzert des Kammerorchesters mit Musik von Haydn, die thematische Beethoven-Woche im Februar, die Matthäus-Passion zu Ostern. „Das war der Moment, in dem mir klar wurde: Das Spiel ist aus für mich“, sagt sie und muss um Fassung ringen. Es fehlt an Bühnen, Perspektiven – und damit auch am Geld. Die junge Frau will in Belgien jetzt einen Studiengang aufnehmen, mit dem sie schnell Geld verdienen kann, nebenher im Supermarkt arbeiten. Sie spielt sogar mit dem Gedanken, ihr Cello zu verkaufen.
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