150 Jahre Philharmonie Dresden : Hören in Zeiten der Einsamkeit
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Vor leeren Reihen spielte die Dresdner Philharmonie zum Jubiläum auf - nur für die Kameras. Bild: dpa
Marek Janowski und sein Orchester feiern in einem Geisterkonzert 150 Jahre Dresdner Philharmonie. Orchester und Dirigent wissen zu begeistern und zeigen mit der Auswahl der Stücke großes Symbolbewusstsein.
Knisternde Nervosität in F-Dur, hektische Geschäftigkeit im rasenden Viervierteltakt, bloß nichts verkehrt machen, die große Welt guckt zu, immer wieder die Zuckungen auf den schwachen Taktteilen, Ausraster einer Angst des Misslingens, komponierte Psychosomatik einer Neurose – aber wie souverän, wie präzise, wie scharf in jedem Detail erfassen Marek Janowski und die Dresdner Philharmonie das Porträt des Bürgers Jourdain, das Richard Strauss zu Beginn seiner Orchestersuite nach Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ gezeichnet hat! Die ganze Getriebenheit eines Aufsteigers, sein Vibrieren zwischen Ehrgeiz und Unbildung, einer Unbildung, die sich jederzeit eine Blöße geben könnte, treten einem hier vors Ohr. Dann die „türkische Musik“ der Bläser, jene tönende Erscheinung des Mamamouchi (klingt im Deutschen noch obszöner als in Molières französischem Original) – wie biegsam-zierlich kommt sie hier heraus und bleibt doch eindrucksvoll elefantös!
Die Dresdner Philharmonie spielt bei diesem Gespensterkonzert – es sind nur Kameras im Saal und wir, ein Häuflein von Offiziellen – mit höchster Konzentration, die ein Feinmechaniker am Pult herstellt, allerdings mit Charme. Janowski lässt seinen Konzertmeister Wolfgang Hentrich hopsen und federn beim Tanz; er zeigt atmende Fürsorge für die Bläser, immer wieder Umsicht und Weitblick – besonders später, in der großen C-Dur-Symphonie von Franz Schubert – und bleibt doch so sparsam wie möglich in seiner Gestik. Unter seiner Leitung balanciert das Orchester bei Strauss’ Molière-Suite geschmackssicher zwischen Gefühl und Malerei, Bekenntnis und Karikatur. Die mittleren und tiefen Streicher, die den verliebten Cléonte vorstellen mit der Klangimitation eines alten Gambenconsorts, hat man selten so geheimnisvoll dunkel, so innig bebend gehört wie hier.
Das Stück ist klug gewählt zur Feier von 150 Jahren Dresdner Philharmonie. Nicht, weil damit karikiert werden soll, dass die Bürgerschaft am 29. November 1870 endlich auch einmal Adel spielen wollte, als sie sich für den neu erbauten Gewerbesaal eine eigene Kapelle gönnte, statt die ehrwürdige Sächsische Hofkapelle – heute Staatskapelle – dazu zu bitten. Nein, weil in dieser Suite für knapp vierzig Musiker alle Solisten des Orchesters einen Auftritt haben, weil sich von der Piccoloflöte bis zum Triangel alle einmal verbeugen können, das Orchester sich als Gemeinschaft von Individuen selbst feiern darf. Besonders schön freilich ist, dass die Chronik der Dresdner Philharmonie damit prunken kann, dass der vierundzwanzigjährige Richard Strauss hier in der Spielzeit 1888/89 bereits dirigiert hat, lange bevor er an der benachbarten Hofoper seine legendäre Serie von Uraufführungen in Gang setzte.
Adelheid Schloemann und Claudia Woldt haben zum Jubiläum des Orchesters ein Buch herausgebracht, das mehr als ein Staubfänger sein dürfte. Es geht weit hinaus über eine Auflistung eindrucksvoller Gastdirigenten wie Peter Tschaikowsky und Antonín Dvořák oder eine Parade der Chefs, die hier Großes geleistet haben wie Kurt Masur mit der Uraufführung von Friedrich Schenkers „Sinfonie (in memoriam Martin Luther King)“ oder Herbert Kegel mit der DDR-Erstaufführung von Arnold Schönbergs „Gurreliedern“.