Zum Tod der Lyrikerin Elisabeth Borchers : Ein Gedicht ist nicht diktierbar
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„Ein Gedicht ist nicht diktierbar. Es setzt nicht Kenntnisse voraus, sondern Erfahrung”: Elisabeth Borchers Bild:
Die Lyrikerin Elisabeth Borchers verstand Dichtung als Ausdruck gedanklich gereifter Erfahrung und Mittel gegen voreilige Übereinkünfte. Am Mittwoch ist sie im Alter von 87 Jahren gestorben.
Mit ihren ebenso klangvollen wie gedankenreichen, auf äußerste Knappheit gebrachten Gedichten hat sich Elisabeth Borchers nicht nur in die Literaturgeschichte, sondern tief in das Gedächtnis derer eingeschrieben, denen Gedichte immer noch wichtig sind. Sie war ganz und gar Lyrikerin und ist gerade deshalb sehr zurückhaltend mit der Publikation eigener Gedichtbände gewesen. Sie war zugleich und keineswegs „nebenbei“ eine leidenschaftliche Lektorin, zunächst bei Luchterhand, später bei Suhrkamp, und hat als solche mit untrüglichem Sinn für literarische Qualität viele Autoren entdeckt, gefördert, betreut und begleitet. Und sie war schließlich eine überaus kenntnis- und einfallsreiche, unermüdliche Herausgeberin von Anthologien, Kinderbüchern, Almanachen – eine unentbehrliche Mitarbeiterin ihres Verlegers Siegfried Unseld, der sie noch auf ihren Lesereisen mit Telefonaten verfolgte, um ihren Rat in aktuellen Verlagsangelegenheiten einzuholen.
In Homberg am Niederrhein 1926 geboren, wuchs Elisabeth Borchers im Elsass auf und lebte nach dem Krieg längere Zeit in Frankreich und in Amerika. 1959 wurde sie Mitarbeiterin von Inge Aicher-Scholl an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, ging aber schon 1960 als Lektorin zum Luchterhand Verlag in Neuwied. Hier erschienen auch – nach einer Anthologie tschechischer Lyrik, die sie mit Peter Hamm im Verlag der Eremiten-Presse herausgegeben hatte – ihre ersten Bücher: die Lyrikbände „Gedichte“ (1961) und „Der Tisch an dem wir sitzen“ (1967, mit phantastischen Illustrationen von Günter Bruno Fuchs), eine kleine Sammlung ihrer Szenen und Spiele für den Rundfunk unter dem Titel „Nacht aus Eis“ (1965) sowie ihre Erzählungen „Eine glückliche Familie und andere Prosa“ (1970). Zusammen mit Günter Grass und Klaus Roehler gab sie seit 1966 Luchterhands Loseblatt Lyrik in Lieferungen heraus, jene inzwischen legendären halbmeterlangen Gedichtposter zum „Andiewandpinnen“.
Auch als Übersetzerin aus dem Französischen war sie für den Verlag tätig; so übertrug sie Jean Pierre Jouves Roman „Paulina 1880“ (1964) ins Deutsche. Schließlich hat sie seit 1962, als ihr erstes Kinderbuch „Bi, Be, Bo, Ba, Bu – Die Igelkinder“ erschien, eine Reihe weiterer Bücher für Kinder geschrieben, darunter „Und oben schwimmt die Sonne davon“ (1965), „Ein Fisch mit Namen Fasch“ (1972) und „Heute wünsche ich mir ein Nilpferd“ (1975), das 1976 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde.
Süße Surrealität des Dichtens
Noch bei Luchterhand erschien 1961 ihr erster eigener Gedichtband, und schon das allererste Gedicht in diesem Buch löste, als es in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vorabgedruckt wurde, einen kleinen Skandal in Form von protestierenden Leserbriefen aus. Man las:
eia wasser regnet schlaf
eia abend schwimmt ins gras
wer zum wasser geht wird schlaf
wer zum abend kommt wird gras
weißes wasser grüner schlaf
großer abend kleines gras
es kommt es kommt
ein fremder