Wolf Wondratschek : Bestseller, Auflage: 1
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Der Dichter Wolf Wondratschek, Ende März 2015 im Berliner Hotel „Savoy“ Bild: Julia Zimmermann
Wolf Wondratscheks neuer Roman heißt „Selbstbild mit Ratte“. Wie er ist? Keine Ahnung. Er hat das Manuskript statt an einen Verlag an einen privaten Mäzen verkauft. Nur der darf ihn lesen.
Am Ende dann sitzen wir vor der Paris-Bar im alten Westen von Berlin, kalter, grauer Frühling, er raucht, wir trinken Kaffee, er rezitiert mit seiner tiefen, rauen Wondratschek-Stimme ein Gedicht von Joseph Brodsky. „Große Elegie an John Donne“: „John Donne ist eingeschlafen. Alles schläft.“ Er sagt, wie gut es ist, alt zu werden, über siebzig zu sein, „Sie wissen das nicht, deshalb sage ich es Ihnen“, endlich „Luft unter den Flügeln“ zu haben, keine Angst mehr, zurückzuschauen auf das Leben, das Mäandern des Lebens, und er zieht mit der Hand Schlangenlinien in die Luft.
Wolf Wondratschek, 71, ist nach Berlin gekommen, um mir seinen neuen Roman zu erzählen. Schon vor Wochen hatte er am Telefon davon berichtet, dass er das Manuskript nicht an einen Verlag, sondern an einen Privatmann verkauft habe. Ich wollte zu ihm nach Wien fliegen, aber er bat darum, ob wir die Reise nicht umkehren könnten, er käme gern nach Berlin und ob die Zeitung mir eine Reise nach Wien oder ihm eine nach Berlin bezahle, sei doch vielleicht egal.
Und so sitzt er jetzt auf einer beigefarbenen Couch unter dem Bild einer roten Blume im einzigen Raum des Berliner Savoy Hotels, in dem man rauchen darf, und raucht und erzählt sein Buch.
Das Arschloch der Achtziger
Wolf Wondratschek, einer unserer besten Dichter, der vor fast fünfzig Jahren mit selbstgedruckten Heftchen seiner Gedichte auf der Buchmesse rumlief, um auf sich und sein Schreiben aufmerksam zu machen, dessen erstes Buch „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“, das 1969 erschien, längst Legende ist, der in den siebziger und achtziger Jahren mit seinen phänomenalen Gedichtbänden „Chuck‘s Zimmer“, „Männer und Frauen“, „Die Einsamkeit der Männer“ und „Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre“ einer der erfolgreichsten deutschen Dichter geworden war, der in Helmut Dietls „Rossini“ von Jan Josef Liefers als romantischer, schlagkräftiger Lederjackendichter einem Millionenpublikum bekannt wurde und dessen Gedichtband „For a Life without a Dentist“ im letzten Jahr nur noch in einer Mini-Auflage von 444 Stück im „quartus-Verlag“ in Jena erschienen ist.
Wondratschek also. Der mal geschrieben hat: „Poesie ist die Erinnerung / an all die Liebenden, die sich / nach dem Tode sehnten und weiterlebten / Und wenn sie endlich sterben, / wird es zu spät sein / für jeden von uns.“
Er sitzt jetzt da, auf der Couch, Beine übereinandergeschlagen, Jeans, dunkler Pulli, roter Hemdkragen, schlank, sehr gut aussehend. Ein Mann, mit sich im Reinen, denkt man sofort, sein phänomenales Selbstbewusstsein, für das er fast so berühmt ist wie für seine Gedichte, hat mit den Jahren und mit dem schmelzenden Erfolg kein bisschen gelitten. Ein Mann, der weiß, was er kann, der weiß, was Kunst bedeutet, was der Wert von Kunst ist, der Wert seiner Werke.
Kein Koffer voll Gold
Er hat so viele Verleger gehabt. So viele haben ihn irgendwann rausgeworfen, oder Wondratschek ist gegangen. „Auch bei denen, die mich lieben bin ich nicht beliebt“, hat er mal gesagt. Als er vom Diogenes-Verleger Daniel Keel für sein Carmen-Gedicht einen Koffer voll Gold verlangte, hat der ihn aus seinem Büro geworfen. Daraufhin las Wondratschek das verlagslose Langgedicht im Münchner Marstall vor, Bernd Eichinger saß im Publikum und hat es dem Dichter für eine phantastische Summe sofort abgekauft.
Die Frau, die hier besungen wird, haben sie beide geliebt. Eichinger wollte diese Hymne auf sie unbedingt besitzen, wie um sie in Sicherheit zu bringen, vor dem Anderen. „Sie war, als sie ihn sah, bereit zu handeln / und ließ, was nie geschah, geschehen. / Sich in der Liebe einmal in sich selbst verwandeln. / Das war die Freiheit, die er ihr befahl.“