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Vordenker der Gegenaufklärung : Mit Ideen muss man zündeln

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Gegenaufklärer unter sich: Der Briefwechsel zwischen Joseph de Maistre und Louis de Bonald.

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          „Ist Frankreich tot?“ Mit dieser Frage, wie sie im gegenwärtigen französischen Präsidentschaftswahlkampf auch Éric Zemmour entschlüpfen könnte, wendet sich 1814 Joseph de Maistre aus Sankt Petersburg an seinen gegenaufklärerischen Bruder im Geiste Louis de Bonald in Paris. Den könnte man zu Beginn der Restauration eigentlich in besserer Stimmung wähnen: Napoleon hat abgedankt, das Empire ist Geschichte, auf dem französischen Thron sitzt mit Ludwig XVIII. wieder ein Bourbone. Doch die Krise Europas reicht tiefer, sie ist weniger eine Frage des herrschenden Personals als einer Erschütterung des Denkens, die mit der Aufklärung und der Französischen Revolution über die Welt gekommen ist. Die Verarbeitung dieser historischen Schockwellen lässt sich in dem erstmals auf Deutsch erschienenen, von Alexander Pschera sorgfältig edierten und übersetzten Briefwechsel zwischen de Maistre und Bonald verfolgen, wobei der Reiz der insgesamt dreiundzwanzig Briefe nicht zuletzt im beständig zwischen Ironie und Verzweiflung changierenden Ton der beiden Verfasser liegt.

          „Ich bin sechzig Jahre alt und ruiniert; das sind zwei wichtige Dinge, die ich mit Ihnen gemein habe – Gott sei Dank gibt es auch noch andere“, schreibt de Maistre mit der ihm eigenen Selbstironie an Bonald, der wie er selbst nach der Revolution seinen Besitz verliert und ins Exil geht. Während de Maistre in die Schweiz flieht und dort seine Karriere als gegenrevolutionärer Propagandist beginnt, ehe er als Gesandter des sardischen Königs über ein Jahrzehnt in Russland zubringt, verfasst Bonald in Heidelberg seine ersten philosophischen Schriften und kehrt bereits 1796 in die Heimat zurück. Dort wird er unter der Restauration ins Parlament gewählt, wo er bald mit dem neuen System hadert, das mitnichten eine Rückkehr zur alten Ordnung bedeutet. Statt einer Restauration absoluter Königsherrschaft, wie sie Bonald propagiert, hat Ludwig mit seiner konstitutionellen Monarchie dem aufstrebenden Bürgertum Tür und Tor geöffnet und „die Wahl in die Hände der mittleren Klasse gelegt, die fleißig, eifersüchtig, selbstgefällig ist, die die Revolution machte und ihren Geist am Leben erhielt“. Während de Maistre als freischwebende Intelligenz in Sankt Petersburg seine Werke verfasst, schildert ihm Bonald genervt, wie viel Geduld er doch brauche, „um jeden Tag vier oder fünf Stunden lang leidenschaftlich vorgebrachtem Unsinn zuzuhören“.

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