Zukunft des Buchgeschäfts : Zwischen Bindung und Bröckelei
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Darf’s ein bissel mehr sein? Bild: dpa
Wie blickt eigentlich die Buchbranche in die Zukunft? Eine Podiumsrunde mit drei Münchner Verlegern zeigt: Verlage sind keine Verwerter.
„Es ist eine Gewissheit, dass Bücher teurer werden müssen.“ Und: „Der Gegenstand Buch ist günstiger machbar als je zuvor.“ Zwei Sätze, die Jo Lendle, der Chef des Carl Hanser Verlags, in der Berliner Vertretung des Freistaats Bayern im Abstand weniger Minuten spricht, quasi in einem Atemzug. Einen Widerspruch zwischen beiden Aussagen scheint auf dem Podium niemand wahrzunehmen. Reinhard Wittmann, der scheidende Leiter des Münchner Literaturhauses, hat drei Münchner Verleger eingeladen, vor einem hauptstädtischen Publikum ihre Gedanken über die Zukunft der Verlage zu entwickeln.
Für Felicitas von Lovenberg, die frühere Literaturchefin dieser Zeitung, die am 15. März ihre Arbeit als verlegerische Geschäftsführerin von Piper aufgenommen hat, ist es der erste öffentliche Auftritt im neuen Amt - schon nach der Hälfte der Hundert-Tage-Frist für frische Führungskräfte. Welche Überraschungen hielt der Alltag nach dem Seitenwechsel parat?
Ein Mikrokosmos aus Liebesverstrickungen
Die Hektik ist noch größer als in der Zeitung. Rund um die Uhr fälle sie „Entscheidungen, die alle zukunftsweisend sind“. Jonathan Beck, der im vergangenen Jahr von seinem Vater Wolfgang die Verantwortung für den nichtjuristischen Teil des Familienunternehmens übernommen hat, begrüßt die neue Konkurrentin mit trockenem Witz: „Redaktionsschluss ist passé.“
Kein Feierabend: Das dürfte für alle Unternehmer ab einer gewissen Firmengröße die Normalität beschreiben. Gleichzeitig ist die pausenlose Produktivität, die Unmöglichkeit der Trennung von beruflicher und privater Tätigkeit, das Idealbild der Existenz der wichtigsten Lieferanten des Buchgewerbes, der Schriftsteller und Intellektuellen. Für Verleger ist es wohl eine unwiderstehliche Versuchung, sich als geborene Kollegen ihrer Autoren zu präsentieren, als Künstlernaturen. Lendle schreibt sogar selbst Romane und versteht sich virtuos darauf, über die gewöhnliche Geschäftstätigkeit seines Hauses in literarischen Formen zu sprechen, in Metaphern und Anekdoten. Galant übersetzt er Felicitas von Lovenbergs Bericht über ihre Erkundung des Sozialsystems Verlag in das romantische Bild eines Mikrokosmos aus „Liebesverstrickungen der Bindung und Bröckelei“.
Sind Verlage „Verwerter“?
Die Stilübung wirft einen Merksatz ab, der als Motto für den Abend taugt: „Verlage erzählen immer auch ihre eigenen Geschichten.“ Und mit welchem Erfolg! Auch die bekanntesten Geschichten werden weitererzählt, von Leuten, denen man zuhören muss, wie Monika Grütters, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Wenn Politiker über das Buchgeschäft sprechen, übernehmen sie das Selbstbild der Verlagswirtschaft und schmücken es schwärmerisch aus, im Namen der Passion, die sie mit den Akteuren teilen. Frau Grütters stellte sich als „leidenschaftliche Vielleserin“ vor. So setzt sich auch auf der Abnehmerseite der künstlerische Habitus des totalen Engagements durch. Das Hobby zum Beruf gemacht: Diesen Traum wollen sich alle erfüllt haben, die mit Büchern Geld verdienen.
Beim Thema Buch muss sich kein Politiker genieren, als Lobbyist aufzutreten. Die Kulturstaatsministerin berichtet live aus Hannover: Auch nach dem neuesten Stand der TTIP-Verhandlungen ist die Buchpreisbindung sicher. Indem der Verlag den Preis seiner Bücher festsetzen darf, bleibt ihm, wie Jonathan Beck formuliert, das „Geschacher“ erspart. Was hat es zu sagen, dass ein Firmenchef einen solchen abwertenden Begriff für Preisverhandlungen verwendet, wie er sie doch gewiss täglich führen muss, genaugenommen für den gesamten Non-Book-Bereich? Hier schleicht sich in die Selbstauskunft des Büchermachers aus Leidenschaft sogar der für Bohemiens obligatorische Ton der Skepsis gegenüber dem Wirtschaftlichen überhaupt ein. Dabei ist Beck Volkswirt. Ihm missfällt an den aktuellen Urheberrechtsdebatten, dass die Verlage als Verwerter tituliert werden.
Solche Geschichten schreibt nur die Verlagswelt
Wenn die Wertschöpfung ein so delikates Sujet ist, wird begreiflich, dass man nur in Andeutungen erklären möchte, warum das Buch teurer werden muss, obwohl der gleichnamige Gegenstand noch nie so billig, schön und gediegen hergestellt werden konnte: Der Buchhandel würde durch höhere Preise gestützt. „Ein Buch kostet so viel wie ein Schuh.“ Das sagte der legendäre Verleger Caspar Witsch, und das hat Jo Lendle wahrscheinlich in der gefeierten Witsch-Biographie von Frank Möller aufgelesen. Er appelliert an die Zuhörer: „Blicken Sie an sich hinunter!“ Kann er sicher sein, dass wirklich alle Gäste Schuhe tragen, die ein Vielfaches des gebundenen Ladenpreises von zwei Hanser-Bänden kosten?
Hanser ist wie Beck ein Familienunternehmen, aber die Eigentümer sind nicht selbst die Verleger. Lendles nächster Auftritt als Geschichtenerzähler steht bevor: vor dem Aufsichtsrat. Der Schelm kann schon erzählen, wie es ausgehen wird: „Sie werden neugierig nicken und ein paar Bücher mitnehmen.“ Und keine Fragen zu den von Hanser abgewanderten Autoren und Lektoren stellen? Ein Geschäftsführer, der weiß, dass der Aufsichtsrat alles abnicken wird: Solche Geschichten schreibt nur die Verlagswelt.