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Verlag „Das vergessene Buch“ : Ausgraben allein genügt nicht

Was kann man mit einem Germanistikstudium beruflich anfangen? Albert C. Eibl, 1990 in München geboren, hat darauf eine gute Antwort gefunden. Bild: Mafalda Rakoš

Ein junger alter Hase: Albert C. Eibl setzt mit seinem Wiener Verlag „Das vergessene Buch“ auf Wiederbelebung in vielfacher Hinsicht.

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          Er ist vierundzwanzig, als er den Verlag gründet. Was man wohl beruflich machen könne mit einem Studium der Germanistik? Bei einem Gespräch mit Freunden sei ihm die Idee eines eigenen Verlags gekommen, aber bitte nicht den Albert C. Eibl Verlag, sondern einen mit einem einprägsamen Namen, dem man sein Programm sofort ansieht: „Das vergessene Buch“, kurz DVB. Heute, acht Jahre später, ist der Einmannbetrieb, der sich Dienstleistungen auf Basis freier Mitarbeit zukauft, noch immer ein Nischenverlag, aber ein erfolgreicher. Maria Lazars Roman „Leben verboten!“, 1932 verfasst, war beim Kultursender Ö1 vor zwei Jahren Buch des Monats, stattliche 8500 Exem­plare hat Eibl abgesetzt, von einer Autorin, die zuvor nicht einmal mehr Spezialisten kannten.

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Das Verlagskonzept, Vergessenes wiederzubeleben, ist nicht neu. Die von Franz Greno und Hans Magnus Enzensberger gegründete „Andere Bibliothek“ ist seit 1985 aktiv, vor fünf Jahren nahm in Berlin der Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“ den Betrieb auf. Zu diesem Zeitpunkt war der junge Deutsche in Wien schon drei Jahre im Geschäft, und zwar als Autodidakt. Bücher zu „machen“, das musste Eibl erst lernen. Im Gespräch mit der F.A.Z. vermittelt er nicht den Eindruck, als hätte ihn das sehr gefordert. Überhaupt scheint der blonde Anfangdreißiger im dunkelblauen Anzug eher ein Genussmensch zu sein. Er schätze guten Rotwein und dito Zigarren – und bloß keinen Sport im Übermaß.

          Wie sich Schriftsteller tarnen

          Eibl zog als Neunjähriger von München ins lombardische Varese, weil seine Eltern lieber in Italien leben wollten. Nach dem Abitur an der dortigen Europäischen Schule zog er nach Zürich zum Germanistikstudium bei Wolfgang Groddeck. In Wien widmete er sich in seiner Masterarbeit, die bei Winter in Heidelberg verlegt wurde, Ernst Jüngers Ästhetik des Widerstands. Derzeit sitzt er an seiner Doktorarbeit bei Oliver Lubrich (Bern) mit dem Arbeitstitel „Zur Poetik des verdeckten Schreibens“. Sie handelt von Camouflage-Techniken, die Autoren in politisch schwierigen Zeiten – Vormärz, „Drittes Reich“, DDR – nutzten, „um zwischen den Zeilen zu lesen und zu schreiben“, wie Eibl ausführt.

          Die Leidenschaft für Bücher habe sein Vater entfacht. Der studierte Psychologe habe eigentlich immer gelesen, seine Bi­blio­thek umfasse 12.000 Bände. Eibl: „Ich bin der Älteste von sieben Geschwistern, fünf Brüder und zwei Schwestern, aber ich bin der Einzige, der liest.“ Mit derzeit 4800 Bänden liegt er ganz gut im Rennen. Im Vergleich damit nimmt sich die Backlist des Verlags mit elf Titeln noch bescheiden aus. Aber die Wiederentdeckungen, die ihm gelangen, saßen: Etwa drei Romane der eingangs erwähnten Maria Lazar, 1895 geborene Tochter einer reichen jüdischen Wiener Familie, die sich 1948 in Schweden das Leben nahm. Sie habe 1937 mit „Die Eingeborenen von Maria Blut“ den „einzigen Widerstandsroman der österreichischen Literatur geschrieben“, sagt Eibl.

          Ich lese, bis ich verwese

          „Verrecke, stirb, verschwinde“, so beschrieb Lazar das „Evangelium der Ausrottung“, das der aufkommende Nationalsozialismus predigte, in ihrem Roman „Leben verboten!“. Der fand in seinem Entstehungsjahr 1932 „aus Gründen der Opportunität“, wie Eibl sagt, keinen Verlag mehr. Er stieß im Haus von Lazars Tochter Judith im englischen Northampton auf das Typoskript und veröffentlichte es vor zwei Jahren. Lazar dem Vergessen zu entreißen, das ist Eibl gelungen. Ihr 1921 uraufgeführter Ein­akter „Der Henker“ über die letzten Stunden eines verurteilten Mörders wurde in der Regie von Mateja Koleznik am Akademietheater gespielt, die Dramatisierung des Romans „Die Eingeborenen von Maria Blut“ ist für Frühjahr 2023 am Burgtheater in Vorbereitung.

          Wiederbelebung als Geschäftsmodell – ausgerechnet in Wien? „Es stimmt schon, Morbidität ist hier ein Teil der Lebenskultur“, weiß Eibl. Wie um die These zu illus­trieren, hat der Verleger eine Auswahl seiner Produktion in einer schwarzen Stofftasche mitgebracht, die das Logo der Bestattung Wien trägt, einem städtischen Unternehmen. Darauf ein Skelett in einem Armlehnstuhl und die Behauptung „Ich lese, bis ich verwese“.

          Ausbauen oder verkaufen?

          Aber Eibl hält Wien für eine immer noch unterschätzte Stadt. Er schätze besonders die lebendige Buchhandelsszene, außerdem würden Bücher seit Beginn der Pandemie mehr Platz in den Medien bekommen. Über Interesse für sein Programm kann Eibl denn auch nicht klagen, aber er weiß, „dass gute Besprechungen allein nicht genügen, um die Bücher nachhaltig am Leben zu erhalten“. Und wie sportlich nehmen es die Österreicher, wenn ihnen ein Deutscher ihre vergessenen Bücher vorlegt? Eibl vorsichtig: „Manche haben sich wohl schon geärgert.“

          Ideen für weitere Entdeckungen habe er ausreichend, sagt Eibl, zudem bekomme er viele Hinweise von außen. Aber irgendwann könne er sich vorstellen, DVB als Imprint bei einem größeren Verlag unterzustellen, wenngleich er aktuell darüber nachdenkt, die Produktion auf sechs Titel im Jahr auszubauen – „falls der Markt das hergibt“. Der Verkauf von Taschenbuch- und Übersetzungsrechten ist angelaufen.

          Politisch sei das Programm offen und keineswegs auf Österreich fixiert. In einer Reihe über das Vergessen ist es bislang bei einem Band des Publizisten und Jünger-Experten Alexander Pschera („Vergessene Gesten“) geblieben. Zuletzt war Eibl mit John F. Kennedys „Das geheime Tagebuch“ erfolgreich. Darin schildert der spätere amerikanische Präsident seine Erlebnisse bei einem Deutschlandbesuch im Jahr 1937. Anfang Mai wird ein Roman des französischen Autors Marcel Jouhan­deau erscheinen, der 1941 einer Einladung von Goebbels zum Europäischen Dichtertreffen in Weimar gefolgt war und diese Kollaboration in dem erstmals ins Deutsche übersetzten Roman „Die geheime Reise“ thematisierte. Die Verführung durch den Nationalsozialismus – was der Markt wohl dazu sagt?

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