Brüder Grimm Märchensammlung : Wo kommt eigentlich Dornröschen her?
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Das Brüder Grimm Denkmal am Marktplatz im hessischen Hanau Bild: dpa
Die Schwestern Hassenpflug trugen zahlreiche Märchen zur Sammlung der Brüder Grimm bei. Die lernten sie von ihrer Mutter, die sich durch eine besondere Lektüre inspirieren ließ.
Die vielleicht spannendste Frage der Brüder-Grimm-Forschung führt zu den Beiträgerinnen und Beiträgern ihrer Märchen. Jacob und Wilhelm Grimm waren, als 1812 der erste Band ihrer „Kinder- und Hausmärchen“ erschien, junge Gelehrte, die mit wichtigen Vertreterinnen und Vertretern der Romantik bekannt oder befreundet waren. Im berühmten „Kränzchen“ kamen bei den Brüdern Grimm in Kassel großenteils junge Frauen zusammen, die sich für moderne Literatur interessierten. Unter ihnen waren drei der vier Schwestern der Hanauer Familie Hassenpflug: Marie, Jeanette und Amalie, genannt Malchen.
Vor allem durch die Arbeiten von Heinz Rölleke wissen wir, dass etwa dreißig Märchen der Brüder Grimm von diesen Schwestern stammen. Allein zwanzig von Marie, der 1788 geborenen Ältesten, darunter „Dornröschen“, „Brüderchen und Schwesterchen“ und das kleine Vexiermärchen „Der goldene Schlüssel“, mit dem seit 1815 alle Auflagen der Märchensammlung enden. Marie Madelaine Hassenpflug, die Mutter der Schwestern, stammte aus einer Hugenottenfamilie aus der Dauphiné. Ihr Großvater war als Glaubensflüchtling nach der Aufhebung des Edikts von Nantes auf Umwegen nach Hanau gekommen, wo er in zweiter Ehe die Hugenottin Madeleine Debély heiratete.
Marie Madelaine verlor mit viereinhalb Jahren ihre Mutter. Deshalb wuchs sie bei der Großmutter in der Hanauer Neustadt auf, die ab 1597 für wallonische und niederländische Glaubensflüchtlinge erbaut worden war. Als 1778 auch noch Marie Madelaines Vater starb, wurde sie mit elf Jahren Vollwaise. Zehn Jahre später heiratete sie Johannes Hassenpflug, den Vorsteher des Amtes Altenhaßlau bei Gelnhausen. Der reformierte Glaube verband sie zwar, sie lebten aber in zwei unterschiedlichen Kulturen.
Eine harsche Patronin als Großmutter
Im Haus der Großmutter von Marie Madelaine Hassenpflug wurde Französisch gesprochen, und zwar aus Prinzip und mit großer Strenge der als harsche Patronin agierenden Großmutter. Die Familie von Johannes Hassenpflug dagegen stammte seit mehreren Generationen aus der Grafschaft Hanau. Nach der Heirat wurde Johannes Hassenpflug 1789 Schultheiß der Hanauer Neustadt. Französisch sprach er nicht. Die Familie wohnte am Marktplatz der Neustadt, gegenüber dem Rathaus, dem Amtssitz des Schultheißen. Außer Marie Hassenpflug lebten dort ihre Schwestern Suzette und Jeanette sowie ihr Bruder Ludwig bis zum Umzug nach Kassel, wo Maries jüngste Schwester Amalie zur Welt kam.
Dass viele Märchen der Brüder Grimm, anders als zunächst suggeriert, nicht von „ächt hessischen“ Bauersfrauen, sondern von Beiträgerinnen wie etwa Dorothea Viehmann erzählt wurden, die hugenottische Vorfahren hatten, ist bekannt. Nichts lag näher, als Marie Hassenpflug und ihre Schwestern der Quelle zuzurechnen, die aus einem französischen Reservoir schöpfen konnte: der gestrengen Großmutter ihrer Mutter. Genau das geschah auch. Bei den Arbeiten an einer demnächst erscheinenden Literaturgeschichte der Stadt Hanau kamen allerdings erhebliche Zweifel an der – bezogen auf die Hassenpflug-Schwestern – urgroßmütterlichen Quelle auf. Vielmehr trat mit Marie Madelaine Hassenpflug eine sehr interessante, gebildete Frau ans Licht, die kein Buch mehr liebte als Heinrich Jung-Stillings Lebenserinnerungen.