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Evi Simeonis Onkel Heinz, geboren 1921, als Soldat gefallen im März 1945 Bild: privat

Post aus dem Zweiten Weltkrieg : Was hatten wir für Pläne!

Nach mehr als siebzig Jahren sind Briefe wiederaufgetaucht, die mein 1945 gefallener Onkel Heinz als Soldat an seine Angehörigen geschrieben hat. Eine kommentierte Auswahl.

          9 Min.

          Meine Tante Beate wurde 92 Jahre alt. Die Wut, die sie mit sich herumtrug, richtete sie nach dem Krieg gegen ihre beiden einzigen Geschwister, die Kinder bekommen hatten, die Schwestern Magda und Elfriede. Im Alter verschanzte sie sich in ihrem Elternhaus in Stuttgart-Degerloch, das durch Manipulationen in ihren alleinigen Besitz gekommen war, und lehnte jeden Kontakt mit der Familie ab. Magda und Elfriede rätselten bis an ihr Ende darüber, warum sich ihre Eltern auf diese faktische Enterbung der anderen Kinder eingelassen hatten. Der Satz, mit dem sie ihre Diskussionen darüber beendeten, blieb immer gleich: „Hätte Heinz noch gelebt, wäre das nicht passiert.“ Heinz war der 1921 geborene ältere Bruder; er fiel als Soldat im März 1945.

          Evi Simeoni
          Sportredakteurin.

          In Beates Testament hieß es: „Meine Fa­milie und ihre Nachkommen schließe ich vom Erbe aus.“ Es erbte eine gemeinnützige Stiftung. Trotzdem schaffte ich es, den Testamentsvollstrecker dazu zu bringen, dass er mich und einen Cousin das Haus vorm Verkauf noch einmal betreten ließ. Dinge ohne materiellen Wert wie Foto­alben und Familienpapiere durften wir an uns nehmen. In Beates Schreibtisch fanden wir zwei Schachteln, in denen 281 Briefe meines Onkels Heinz an seine Eltern und Geschwister lagen. Als ich sie entdeckte, hörte ich mich zu meinem eigenen Er­staunen sagen: „Ach, da sind sie ja!“

          ◆◆◆

          Kremsier, den 3. Dez. 1939

          Liebe Elfriede!

          Am Donnerstagnachmittag kam unterm Waffenreinigen plötzlich ein Unteroffizier auf unsere Stube und sagte zu mir und noch 5 Mann, sofort fertig machen, es kam gerade ein Befehl, dass wir eine Schießbahn bewachen müssen. Ich hatte an dem Abend ins Kino gewollt, so ärgerte ich mich etwas. Wir machten uns fertig, da wurde noch Post ausgeteilt, und Dein Brief kam. Da ich keine Zeit hatte, ihn noch zu lesen, schob ich ihn in die Tasche. Wir marschierten nun in die Nacht hinaus und langten so nach einer Dreiviertelstunde an der Schießbahn, die im Wald lag, an. Dort war ein kleines Haus mit dem Wachlokal. Wir suchten Holz und machten uns ein Feuer. Bei Kerzenschein zog ich nun Deinen Brief aus der Tasche und las ihn. Du siehst also, unter sehr romantischen Umständen. Wir mussten dort alle 4 Stunden 2 Stunden lang eine Wache machen, immer zu zweit. In der anderen Zeit konnte man auf einer Holzpritsche schlafen. Doch wir binokelten und lasen bei Kerzenschein als einmal wieder, denn man kann da nicht richtig schlafen. Wie wir so zu zweit in dem Walde bei Sternenhimmel Posten standen, da fiel mir das Lied ein: Argonnerwald ... Da ist es sehr schön, von der Heimat zu träumen, und von Euch allen. Wir hörten als mal ein Rehlein schreien, das war wirklich so nach meinem Geschmack. Morgens um 7 Uhr kamen schlesische Arbeiter, arme Teufel in zerlumpten Kleidern. Einer sagte zu mir in gebrochenem Deutsch „Stiefel tauschen“. Da zeigte er mir seinen Schuh, an dem hatte er die Sohle mit einem Strick fest­gebunden, dabei versank man bis über die Knöchel in Dreck und Wasser. Wie wir wieder heimkamen, ging es zum Duschen. Du kannst Dir ja denken, wie herrlich das war. Heute Morgen wurde für die Soldaten ein Film gegeben, Der Hund von Baskerville, das war pfundig.

          Es grüßt Dich nun herzlich

          Dein treuer Bruder Heinz

          ◆◆◆

          Ich staunte fast ungläubig, wie frisch diese Briefe aussahen, obwohl die ältesten vor mehr als achtzig Jahren geschrieben waren. Meistens war das Papier glatt, die Tinte blau, die Schrift sorgfältig und klar. Sie wirkten, als wären sie seit dem Tod des Verfassers im Februar 1945 von niemandem mehr angesehen worden und hätten keinen Lichtstrahl mehr abbekommen. Die Geschichten von geöffneten Sarkophagen fielen mir ein, in denen man den jungen Körper eines Verstorbenen in voller Schönheit ein letztes Mal sehen kann, aber nur wenige Sekunden lang, bevor er zu Staub zerfällt. Ich erschrak und schloss die Schachteln schnell wieder.

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