Büchersammler Lagerfeld : Ich suche auch Sachen, die ich nicht suche
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Karl Lagerfeld inmitten einer Wochenration Lesestoff in der Bibliothek seiner Buchhandlung „L7“ in Paris Bild: Picture-Alliance
Dreihunderttausend Bücher besitzt der Modeschöpfer Karl Lagerfeld, verstreut auf sieben Wohnungen. Als Sammler im klassischen Sinn sieht er sich aber nicht – Lesen ist für ihn tägliche Nahrung.
Der Weg zu Karl Lagerfeld führt über Abertausende von Buchseiten. Zum Interview bittet er am liebsten in das Fotostudio hinter seiner Buchhandlung „L7“ an der Rue de Lille in Paris. Dort drückt man, den Louvre im Rücken, das Musée d’Orsay zur Rechten, die Universität zur Linken, auf einen unscheinbaren Messingknopf, mit einem schnurrenden Geräusch öffnet sich die Glasschiebetür, und man läuft direkt Lagerfelds zwei oder drei Angestellten in die Arme, die auf Bücherstapeln vor der Kasse lehnen. Da Lagerfelds Presseteam irgendwo in Paris im Stau steckt, nimmt uns ein ungewöhnlich breitschultriger Mann in den besten Jahren in Empfang. Seine genaue Funktion bleibt in den nächsten sechzig Minuten rätselhaft. Er bittet in den angrenzenden Raum und, nachdem er dem Besucher den Mantel abgenommen hat, um etwas Geduld. „Kaffee, Wasser?“
Dieser zweite Raum, einer von vieren, die durch einen offenen Flur miteinander verbunden sind, ist eine Küche ohne Herd, in der an einem großen Tisch mit lauter gesunden Sachen (Salat, Käse, Früchte) eine Handvoll Kreativer herumsitzt. Wenn man innerhalb von weniger als einer Stunde zu Lagerfeld vordringt, heißt es, sei das eine gute Zeit. Doch schon kommt der Modeschöpfer mit kleinen Schritten auf uns zu und reicht die Rechte, die sich in einem schwarzen Chauffeurhandschuh mit Strassbesatz befindet, der innen auch noch gepolstert ist.
Dreißig Bücher am Tag
Der folgende, etwas schwammige Händedruck ist eine typisch Lagerfeldsche Paradoxie: Obwohl man den Ausdruck seiner Hände und Augen nur mittelbar wahrnimmt, bleibt er keine Expression seines Inneren schuldig. Seiner Stimme und seinem enorm ausdrucksstarken Mund hört und sieht man alles an, was man wissen muss. Mehr wäre vielleicht zu viel, zumindest aus seiner Sicht. „Es ist gerade schlecht, weil ich arbeiten muss“, sagt er schnarrend, fast tadelnd; dann plötzlich milde, „aber kommen Sie doch bitte mit“. Schon dreht er sich um, wir sehen ein Stück Pappe hinten aus seinem hohen Kragen ragen und folgen ihm in den nächsten Raum.
In Zimmer Nummer drei, das mit seinen Schubladenschränken und wegen der völligen Abwesenheit von Modezeichnungen und Fotografieabzügen eher an das Büro eines Architekten erinnert, bezieht Lagerfeld an einem großen Tisch vor dem neuesten iPad Platz und lehnt sich leicht nach vorne. Der Frager wird an seiner rechten Seite plaziert, etwas eingezwängt von einem geflochtenen Papierkorb. Jetzt wird erst sichtbar, wie stark Lagerfelds Haare gepudert sind und dass er ein graues Jackett trägt, das erstaunlich formlos wirkt – wahrscheinlich braucht man zum Fotografieren, Zeichnen und Lesen mehr Bewegungsfreiheit, als seine Mode es zulässt.
Verabredet sind wir zu einem Gespräch über Lagerfelds vielleicht größte Leidenschaft: Bücher. Mehr als 300.000 Exemplare soll er besitzen, eine Zahl, die zum Beispiel die Kaiserliche Bibliothek in Wien erreichte – eine schmeichelhafte Information, die Lagerfeld ohne Erstaunen entgegennimmt. Er selbst besitze, rechnen wir ihm vor, so viele Bücher, dass er in fünfzig Jahren an jedem Tag 16,4 Stück habe erstehen müssen. Lagerfeld sagt: „Das kommt hin. Manchmal sind es auch dreißig, vierzig am Tag.“ Ob ich seine Bibliothek nebenan schon gesehen hätte? „Schauen Sie mal“, sagt er und bleibt sitzen.