Neuer „Spirou“-Comic von Flix : Keine Atempause, Epoche wird gemacht
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Abenteuer im Berlin vor der Wende: Spirou und seinen Freunden vom Widerstand ist die DDR-Staatsmacht auf den Fersen (aus: „Spirou in Berlin“). Bild: Flix / Carlsen Verlag
Zum achtzigsten Geburtstag der Comicserie „Spirou“ lässt Flix deren Hauptfigur ins Berlin des Jahres 1989 reisen. Mit dem eigenen Album über seinen Lieblingshelden erfüllte sich für den einundvierzigjährige Berliner Zeichner ein Traum.
Kunst- und Literaturgeschichte spricht gerne von Epochen und Schulen. Das ist im Fall von Comics nicht anders, wobei die amerikanische Sichtweise zu Epochen neigt: Beim wichtigsten Segment, den Superheldenerzählungen, unterscheidet man golden age, silver age und bronze age, bisweilen noch ergänzt ums platinum age für alles, was davor war, obwohl Superheldenleser sich dafür gar nicht interessieren. Es gibt außerdem die Comic-Strip-Epoche bis 1938 und die Comic-Heft-Epoche danach; die Zäsur wird markiert durch das Erscheinen der ersten Ausgabe von „Action Comics“ (mit dem Debüt von Superman).
In Europa neigt man dagegen eher zur Einteilung nach Schulen. In Deutschland erfolgt sie derzeit ganz buchstäblich gemäß den akademischen Ausbildungsstätten für Comicschaffende, so zum Beispiel Hamburg, Kassel, Berlin oder Halle. Und besonders markant ist die Schulbildung im französischsprachigen Raum, wo seit achtzig Jahren zwei nach belgischen Städten benannte Stile konkurrieren: die Comicschulen von Brüssel und Marcinelle. Den Beginn dieses Antagonismus bezeichnet ebenfalls das Jahr 1938. Da erschien im Verlag Dupuis, der seinen Sitz in Marcinelle hatte, die erste Ausgabe des „Journal de Spirou“. Es feiert also in diesem Jahr achtzigsten Geburtstag.
Dynamisches Gesamtkonzept
Und mit ihm sein Titelheld, ein Hotelpage, der von der ersten Ausgabe an dabei war und zur zweiten zentralen Figur des französischsprachigen Comics wurde. Die erste war natürlich Tintin, auf deutsch Tim, Hergés junger Reporter, den es schon seit 1929 gab, damals in Fortsetzungen publiziert von einer Zeitung aus Brüssel; deshalb die Rede von der Brüsseler Schule. Kennzeichnend für Hergé, Edgar P. Jacobs oder Alex Martin als deren prominenteste Vertreter ist die Strenge bei Linie und Seitenarchitektur: eine idealisierende Klarheit der Graphik, die genau in den Trend der zeitgenössischen rationalen Kunstvorstellungen von Bauhaus oder De Stijl passte.
In Marcinelle dagegen wurden mit Zeichnern wie André Franquin, Morris, Jijé oder Will die Linien lebendig, war alles Bewegung und Dynamik, wurden die Seiten zu quasi organischen Gebilden, die nicht vom Einzelbild her wie bei Hergé, sondern als Gesamtkonzeption gedacht waren. Entsprechend machte Marcinelle mehr Schule als Brüssel. Hergé und seine Mitstreiter werden von der Comicgeschichtsschreibung als große Stilisten gefeiert, an Franquin und den anderen aber orientieren sich jüngere Zeichnergenerationen bis heute. Deshalb gibt es das „Journal de Spirou“ im Gegensatz zum Magazin „Tintin“ auch immer noch. Und deshalb ist der achtzigste Geburtstag von Spirou ein Grund zum Feiern überall in Europa.
Auch in Deutschland, wo sich die Serie um die Abenteuer des Hotelpagen großen Erfolgs erfreut. So großen Erfolgs, dass der deutsche „Spirou“-Verlag, Carlsen, bei Dupuis um die Genehmigung nachsuchte, eine eigene Geschichte zum Jubiläum beisteuern zu dürfen, ausgeführt von einem hiesigen Star der Comiczunft, nämlich von Flix. Der einundvierzigjährige Berliner Zeichner ist nicht nur den Lesern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung durch seine Fortsetzungsgeschichten „Faust“, „Don Quijote“ und „Glückskind“ gut bekannt, sondern er ist einer der wenigen deutschen Comic-Bestsellerautoren – und Flix ist ein Bewunderer der „Spirou“-Serie. Mit dem eigenen Album über seinen Lieblingshelden erfüllte sich ein Traum.