Literaturverlag Diogenes : Maigret und seine Verleger
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Transfers zwischen zwei Söhnen: Diogenes, Europas größter Literaturverlag, verliert Georges Simenon. Ein abtrünniger Geschäftsführer gründet für ihn einen neuen Verlag.
Die Schweizer Literaturszene trauert. In Berlin muss sie Egon Ammann zu Grabe getragen. Der geniale und exzentrische Ammann hatte seinen Verlag in Zürich zusammen mit seiner Frau als Familienbetrieb geführt. Einen potentiellen Nachfolger ließ er nie an sich herankommen, keinen allfälligen Käufer hätte er je für literarisch kreditwürdig halten können. Er schloss das Haus, verstieß seine Autoren und zog von dannen, schon zu Lebzeiten eine Legende.
Sie geht so: Egon Ammann, der zuvor einen Verlag an die Wand gefahren hatte, leitete die eidgenössische Filiale des Suhrkamp Verlags und hätte vielleicht sogar einmal Nachfolger von Unseld, der seinen eigenen Sohn nicht wollte, werden können. Im Autoradio hörte er den Text eines Unbekannten namens Thomas Hürlimann. Auf der Stelle fuhr er zurück und zu Hürlimann, für den er seinen Verlag gründete. „Die Tessinerin“ war für beide das erste Buch. „Glückliche Fahrt in die Sterne, lieber Freund, ich werde dich vermissen“, rief ihm Hürlimann in der „Weltwoche“ nach.
Die traurige Nachricht aus Berlin überschnitt sich in Zürich mit der Hiobsbotschaft von Georges Simenons unvorstellbarem Abgang bei Diogenes. Den Journalisten des „Perlentauchers“ war sein Fehlen in den Programmen der Frankfurter Buchmesse aufgefallen. Die Buchhändler wussten es seit einem Jahr: Die Werke von Simenon wurden nicht mehr nachgeliefert. „Abverkaufen“ nennt man das im Jargon der Branche, was bedeutet: Maigret ist nicht mehr im Geschäft.
Es ist der Gipfel im helvetischen Sommertheater. Maigret weg, Ammann tot und Diogenes „in Lebensgefahr“. So heißt es: Für den jungen Verleger mit der Künstlerseele seiner Mutter seien die Fußstapfen des Vaters zu groß, neue Autoren fehlten, die Backlist bröckele, Frankenschock und Leichenstarre. Seit Ende Juli ist auch noch Cheflektor und Geschäftsführer Winfried Stephan im Ruhestand.
Es ist die unergründliche Tragödie zweier Söhne, deren Überväter bestens und zum Vorteil beider miteinander wirtschafteten. Auseinandergebracht hat sie ein Dritter, der dem einen verpflichtet und dem anderen verbunden war – mit dessen Segen arbeitet er jetzt auf eigene Rechnung.
Sechs Millionen verkaufte Exemplare
„Kein Kommentar“ aus dem Hause Diogenes, dessen Leitung nach dem Tod des Begründers Philipp Keel übernommen hatte. Nur eine Zahl: sechs Millionen. So viele Exemplare wurden in vierzig Jahren von Georges Simenon in deutscher Sprache verkauft. Längst gab es damals große Dichter wie André Gide, die Simenon als Kollegen im gleichen Rang anerkannten. Doch seine wechselnden Verleger betrachteten den Bestseller-Autor von Krimis weitgehend als Lizenz zum Gelddrucken. Suspekt war er auch wegen seiner nicht ganz lupenreinen Vergangenheit im Krieg. Daniel Keel pflegte den in Lausanne lebenden Schriftsteller und sein Werk wie kein Verleger vor ihm. Diogenes publizierte die Maigret-Romane und die Non-Maigrets, brachte alte Übersetzungen in revidierter Fassung heraus und gab neue in Auftrag. Über all die Jahre war Simenon in Zürich besser und vor allem gediegener, leserfreundlicher verlegt als in Paris. Das war bis zuletzt der Fall, auch wenn von Simenon inzwischen zwei Bände in Gallimards Dünndruck-Klassikerbibliothek „Pléïade“ erschienen sind.