Erstveröffentlichung : Die große Entdeckung von Schnitzlers „Später Ruhm“
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Arthur Schnitzler in Brioni im Mai 1912, als er längst ein berühmter Schriftsteller war. Bild: Schillergesellschaft/DLA-Marbach
120 Jahre nach ihrem Entstehen erscheint Arthur Schnitzlers Novelle „Später Ruhm“. Schnitzler schrieb sie, bevor er selbst berühmt wurde, seine literarische Klasse ist bereits zu erahnen. Ein exklusiver Textauszug.
Am 30. März 1894 vermerkt Arthur Schnitzler in seinem Tagebuch den Auftakt zu einem neuen Werk: „,Später Ruhm‘ begonnen.“ Drei Wochen danach heißt es: „Bin fleißig an meiner Novelle.“ Wenige Monate später ist das Manuskript vollendet. Am 7. September schreibt Schnitzler zufrieden in sein Tagebuch: „Las den ,Späten Ruhm‘ durch; scheint nicht übel gelungen.“ Aber die Novelle blieb unveröffentlicht, bis heute. Jetzt sind an dieser Stelle erstmals Auszüge aus dem Typoskript dieses Textes zu lesen, der 1938 auf abenteuerliche Weise vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten gerettet werden konnte, danach aber fast vollständig in Vergessenheit geriet.
Schnitzler war noch keine 32 Jahre alt, als er mit der Niederschrift der Novelle begann. Von den Texten, die ihn weltberühmt machen sollten - „Liebelei“, „Leutnant Gustl“, „Reigen“, „Der einsame Weg“ -, war noch kein einziger erschienen. Der Wiener Seelenkenner, dem Sigmund Freud später in einem Brief seinen Neid gestand, arbeitete zu jener Zeit als Assistenz- und Sekundararzt am Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Mit Blick auf Schnitzlers damalige Lebenssituation muss der Stoff der Novelle zunächst einmal überraschen. Denn Schnitzler schreibt hier über die späten Träume eines Dichters, der nach einem im Jünglingsalter verfassten Gedichtband nie wieder etwas veröffentlicht hat.
Parodistische Skizze der Wiener Kaffeehausliteraten
Eduard Saxberger, Verfasser der längst in Vergessenheit geratenen „Wanderungen“, hat das Leben eines kleinen Beamten geführt: Junggeselle, pensionsberechtigt, Stammtischbesucher. Mehr gibt es über ihn eigentlich nicht zu sagen. Dass er vor Jahrzehnten einmal ein junger Dichter war, hat er beinahe schon vergessen, als ihn eines Tages unverhofft ein Bewunderer aufsucht. Saxberger ist geschmeichelt, man freundet sich ein wenig an, und ohne dass er weiß, wie ihm geschieht, findet sich der alte Mann plötzlich im Mittelpunkt einer Clique junger Wiener Künstler wieder, die ungeduldig auf den großen Durchbruch warten. Dass seine Bewunderer nicht mehr ganz so jung und wohl auch nicht ganz so begabt sind, wie es ihm zunächst erschien, dämmert dem alten Herrn nur nach und nach. Der Höhe- und Wendepunkt der Novelle ereignet sich am Abend der öffentlichen Lesung, die im Mittelpunkt der von uns ausgewählten Passage steht.
Schnitzler gehörte damals, als er „Später Ruhm“ schrieb, zu der als „Jung-Wien“ bezeichneten literarischen Gruppe, die sich seit 1891 im Café Griensteidl traf. Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, Felix Salten, Peter Altenberg und andere sollten hier der literarischen Moderne den Weg bahnen. Der junge Schnitzler stellte in seiner Novelle also nicht nur die für ihn selbst so entscheidende Frage nach der Vereinbarkeit von Künstlertum und bürgerlicher Existenz, sondern zeichnete auch eine parodistische Skizze der Kaffeehausliteraten, mit denen er in jenen Jahren verkehrte. Wilhelm Hemecker und David Österle, die Herausgeber der Ende nächster Woche im Wiener Zsolnay Verlag erscheinenden Novelle, weisen mit gebotener Vorsicht darauf hin, dass die Figur des jungen Winder gewisse Gemeinsamkeiten mit Hugo von Hofmannsthal aufweist, der bereits als Schüler erste Gedichte publizierte - im Gegensatz zu Winder jedoch tatsächlich ein Wunderkind war.
Der große Schnitzler schimmert schon durch
Schnitzler wollte seine Novelle in mehreren Folgen in Hermann Bahrs Zeitschrift „Die Zeit“ veröffentlichen. Aber der Plan zerschlug sich, und das Manuskript blieb für Jahrzehnte unbeachtet, bis es Teil des umfangreichen Dichternachlasses wurde, den Schnitzlers Sohn Heinrich seit dem Tod des Vaters im Jahr 1931 in einem Zimmer seiner Wiener Wohnung aufbewahrte. Als 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland die Gefahr der Beschlagnahme und Vernichtung drohte, griff der britische Konsul auf Vermittlung eines englischen Literaturstudenten ein und ließ an der Tür zum Archivzimmer das britische Regierungssiegel anbringen.
Damit war der Nachlass Schnitzlers, der zu den Autoren gehörte, deren Werke die Nazis öffentlich verbrannt hatten, zunächst einmal geschützt. Nur wenige Wochen später wurden sämtliche Papiere aus dem Nachlass nach England gebracht, wo sie seitdem von der Cambridge University Library aufbewahrt werden.
„Später Ruhm“ ist eine späte Entdeckung. Es ist schon sehr viel mehr vom großen Schnitzler in dieser Novelle zu erkennen, als ihr Verfasser selbst geahnt haben dürfte.