Man begreift nur mit den Händen gut
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Gedrucktes wird geistig anders verarbeitet als Eingeblendetes: in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Bild: Andreas Pein
Wir nehmen Texte nicht nur mit den Augen, sondern mit allen Sinnen auf. Ein unterschätztes Problem bei der Digitalisierung des Lesens, sagen Wissenschaftler.
Man muss kein Erpresser sein wie der Medienmogul Charles Magnussen in der „Sherlock“-Folge „Sein letzter Schwur“ und keine Varieté-Attraktion wie der Gedächtniskünstler Solomon Schereschewski in der Sowjetunion der zwanziger Jahre, um die Vorzüge der ortsgebundenen Erinnerung zu kennen: Schon Cicero empfahl Rednern, innerlich einen Weg abzuschreiten, mit dessen Stationen sie die einzelnen Punkte ihres auswendig gelernten Vortrags verknüpfen sollten. Bei Schereschewski, berühmt geworden als „S.“ in einer Fallstudie des Neuropsychologen Alexander Luria, war es eine Straßenszene im Dorf seiner Kindheit. Und auf Magnussens Landsitz suchen Sherlock und John vergeblich den Hochsicherheitsraum, in dem der Erpresser doch all die Dokumente verwahren muss, mit deren Informationen er ganz England zu kontrollieren behauptet: Magnussen hat sie lediglich in seinem „Gedächtnispalast“ gespeichert – mittels einer bekannten Mnemotechnik also, die man sich als Weiterentwicklung des Weges aus Ciceros Empfehlung vorstellen muss.

Redakteur im Feuilleton.
Doch auch wer sich noch nicht mit solchen Hilfsmitteln auf Gedächtnisleistungen wie den Medizinertest oder das Juraexamen vorbereitet hat, verknüpft Erinnerungen mit Räumlichem und Körperlichem. „Embodied cognition“ ist der Fachbegriff für den Umstand, dass im Idealfall nicht allein das Gehirn an Prozessen der Informationsaufnahme und -anwendung beteiligt ist, sondern der ganze Körper. Mit allen Sinnen. Selbst beim Lesen, wenn wir es uns im Allgemeinen bequem machen. Selbst wenn wir uns auf einem Sessel, auf dem Sofa, im Bett so lagern, dass er uns für die Zeit der Lektüre nicht kümmert, ist der Körper involviert.
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