Bibliothek der Zukunft : Und wo sind hier die Bücher?
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Im Dokk1 in Aarhus stehen Nähmaschinen bereit, genauso wie 3D-Drucker und Tonstudios: Bücher, die zwei Jahre lang nicht ausgeliehen wurden, werden ausgemustert. Bild: Urbanmediaspace.dk
Die öffentliche Bibliothek erfährt gerade eine gewaltige Transformation von der altehrwürdigen Bildungsstätte zum multiplen Kultur- und Veranstaltungsort. Im dänischen Aarhus kann man die Zukunft schon besichtigen.
Revolutionen fressen nicht immer gleich ihre Kinder, manchmal saugen sie diese erst einmal nur aus wie ein lüsterner Vampir. Die digitale Revolution ist so ein Sauger. Sie entkräftet ihre Opfer nach und nach, bis sie, außen noch einigermaßen intakt, innen jedoch blutleer, saft- und kraftlos in sich zusammensacken. Sexkinos oder Reisebüros sind augenfällige Leidtragende, aber auch an einer hochkulturellen Institution wie der öffentlichen Bibliothek macht die digitale Revolution sich seit geraumer Zeit zu schaffen. Mit jeder Wikipedia-Seite, jedem neuen Google-Books-Scan verliert die Bibliothek als Ort der Informationsbeschaffung und des Bildungsgewinns an Selbstverständlichkeit. Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden gestrichen, Öffnungszeiten reduziert und Etats gekürzt.
Die Bibliothek in ihrer alten Form ist unter Druck geraten. Politik und Gesellschaft fragen immer häufiger nach Zweck und Wert ihres Daseins, wo doch die physische Verfügbarkeit ihrer Güter nicht mehr unabdingbar ist, sondern Informationen und Bücher in digitaler Gestalt zu jeder Zeit an jedem Ort einsehbar werden. Jeder fünfte Bundesbürger liest und bildet sich mittlerweile elektronisch. Traditionelle Ausleihfristen und eingeschränkte Öffnungszeiten wirken da fast schon wie ein niedlicher Anachronismus. Man muss kein notorischer Schwarzmaler sein, um vorherzusehen: Die öffentliche Bibliothek als Bildungsort wird bald mit allen Mitteln um ihr Leben kämpfen müssen.
Bürgeramt und Kreativstudio in einem
In Dänemark, wo bereits seit 1920 ein nationales Bibliotheksgesetz jeder Kommune die Unterhaltung einer öffentlichen Bibliothek vorschreibt, hat man den Kampf schon aufgenommen. Hier wird mit großer Entschiedenheit um ein neues Image der Bibliothek gerungen. Bücher spielen dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. Vielmehr dreht sich alles um Kommunikation, Dienstleistung und ein zeitgemäßes Veranstaltungsprogramm. Und vor allem geht es um eines: Integration. Dieser zentrale Grundbegriff unserer politischen Grammatik gibt auch hier die Marschrichtung vor. Im Eingangsbereich von Dokk1, der vor einigen Monaten eröffneten größten öffentlichen Bibliothek Skandinaviens in der Hafen-City von Aarhus – das 2017 europäische Kulturhauptstadt sein wird –, versteht man sofort, was das heißt. Statt Bücherregalen empfangen einen hier Informationsschalter und Bildschirme. „Borgerservice“ steht auf großen Schildern. Das hat nichts mit Ausborgen oder Entleihen zu tun, sondern verweist auf die Möglichkeit, hier „Bürgerservices“ wie Passerneuerungen oder Wohnanmeldungen in Anspruch zu nehmen. Seit einigen Jahren findet in Dänemark alle Behördenkommunikation nur noch digital statt. Wer zu alt, zu unerfahren oder ohne Netzzugang ist, findet hier in der Bibliothek persönliche Ansprechpartner, kann sich informieren und schulen lassen.
Neben den „Bürgerservices“ werden dem Nutzer noch andere Angebote in dem mehrstöckig-futuristischen Bibliotheksbau des Architekturbüros Schmidt Hammer Lassen gemacht. Es gibt ein „Reparatur-Café“ und „Maker Spaces“, in denen gewerkelt werden kann, Nähmaschinen stehen bereit, genauso wie 3D-Drucker und Tonstudios. Das Gesundheitsamt wirbt für Workshops, eine Drohnenflugschau wird annonciert. Oben, im Familienbereich, wo Kinder auf digitalen Fußballplätzen hüpfen und an Konsolen zocken, gibt es einen Gong, der immer dann ertönt, wenn im Kreißsaal der Stadt ein neues Kind geboren wird.
Kontemplation: In Zukunft schon Vergangenheit?
Und wo sind die Bücher? Die stehen abseits, am Rand. Knud Schulz, der „Manager“ von Dokk1, hat nicht viel Mitleid für sie übrig: „Eine Bibliothek muss sich in erster Linie mit den Menschen beschäftigen, nicht mit Büchern“, sagt er und beteuert, dass der Mehrwert eines Bibliotheksbesuchs in seinen Augen nicht mehr darin bestehe, an Informationen zu gelangen, sondern in der Vergemeinschaftung. Von einem Ort, an dem Bücher gelagert worden seien, habe sich die Bibliothek zu einem Ort verwandelt, an dem der Bürger im Mittelpunkt stehe, proklamiert er selbstbewusst, „ohne von Bücherwänden erschlagen zu werden“. Deshalb habe er auch eine Tapete, die die Innenausstatter ursprünglich mit Buchrücken illustriert hatten, wieder verpixeln lassen.