Neuer Amazon Bookstore : Die langweiligste Buchhandlung von New York
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Der Amazon Buchladen im Time Warner Center in Manhattan Bild: AFP
Amazon hat jetzt auch echte Buchläden. Nirgendwo kann man die kulturelle und moralische Leere des Konzerns besser spüren als in der Filiale am Central Park in New York.
Vergangene Woche hat die langweiligste Buchhandlung New Yorks in einem Einkaufszentrum am Central Park eröffnet. Der Onlinehändler Amazon verkauft seine Bücher jetzt auch in Filialen aus Beton, Holz und Glas, mit Verkäufern aus Fleisch und Blut. Sie sind jung, tragen Brille und erkundigen sich ständig, ob man Fragen hätte. Natürlich nicht, wonach soll man hier schon fragen. Alle Antworten stehen auf Schildern, die dem Laden eine Struktur geben sollen. Die Abteilungen heißen „Bücher mit mehr als 10.000 Kritiken auf Amazon.com“ oder „Bücher mit einer Bewertung von über 4,8 Sternen auf Amazon.com“ oder „Wem dieses Buch über Elon Musk gefiel, den interessiert auch dieses Buch über Phil Knight“. Noch Fragen?
Ja. Zum Beispiel, was diese Veranstaltung dem Konzern einbringen soll. Als Werkzeug für Marketing und Branding kann dieses Geschäft nicht taugen, denn es wirkt in seinem ästhetischen Stumpfsinn so uninspirierend, dass einem noch beim Tritt über die Schwelle die Lust zum Lesen vergeht. Fand der Innenarchitekt wirklich keine besseren Möbel als diese schwarz furnierten Sperrholzregale? Das Licht scheint neongrell, und was soll eigentlich diese unmotivierte Zeitschriftenecke, in der bestenfalls eine kleine, dünne Person Platz findet, um sich die neue „Vogue“ durchzublättern? Vermutlich rechnet niemand damit, tatsächlich ein Magazin zu verkaufen. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der mit mehreren hundert Millionen Dollar die „Washington Post“ zur digitalen Spitzenzeitung entwickelt, will wahrscheinlich nur sagen: Ich habe meine Freunde von der Presse nicht vergessen.
Das Gegenteil einer Buchhandlung
Der Amazon Bookstore ist zu groß, um nicht zu nerven und zu klein, um genug Auswahl zu bieten für Leute, die was anderes als Amazon-Bestseller kaufen wollen. Dreitausend Bücher hält das Geschäft vor und eine Ecke mit Amazon-Krempel wie Kindle, Echo, Wasserflaschen, Handytaschen. Barnes & Noble, der einzigen Buchhandelskette, die Amazon noch nicht aus dem Markt gedrängt hat, führt durchschnittlich zehn Mal so viele Artikel. Noch etwas fällt auf: Alle Bücher stehen mit dem Cover sichtbar im Regal, und Preisschilder gibt es nicht.
Da kommen wir der Sache langsam auf die Spur. Es gelten hier aktuelle Preise von Amazons Website, die ständig schwanken. Einen deutlichen Rabatt erhalten Abonnenten von Amazon Prime. Der Kunde muss nur die App auf sein Telefon laden, hält das Gerät vor das Buchcover und kann mit einem Knopfdruck bezahlen. Das Prinzip funktioniert übrigens auch, wenn man beim kleinen Buchhandel an der Ecke eine Rarität findet: Man hält das Telefon vors Cover und kann jedes Buch bei Amazon mit Lieferung am gleichen Tag bestellen. Fast immer deutlich billiger als bei der Konkurrenz. Gerüchte besagen, der Konzern wolle mehrere Hundert Geschäfte eröffnen – neue Prime-Kunden zu gewinnen, ist eines der Ziele.
Buchladen-Eröffnung : Amazon gibt es jetzt auch offline
Dies ist keine Buchhandlung, sondern das Gegenteil einer Buchhandlung. Das Sortiment basiert auf Milliarden von Datensätzen, die Amazon mit seiner Website generiert, und in der Auswahl des Angebots manifestiert sich der kleinste gemeinsame Nenner von Millionen Kunden. Die Verkäuferin sagt: „Das sind Daten mit menschlichem Anlitz.“ Stimmt. Unter den Buchcovern kleben kleine Schilder mit Zitaten aus Online-Kritiken. Leser Igor Otshelnik über „Die Brüder Karamasow“: „Hier erreicht Dostojewski den Höhepunkt von dem, was ich ,den Krieg mit dem Selbst‘ bezeichnen würde.“ Leserin Andrea über „Swing Time“, den neuen Roman von Zadie Smith (3,6 Sterne): „Habe ich an einem Tag durchgelesen, weil ich einfach nicht aufhören konnte.“
Manchmal hat man das Gefühl, mit seiner Verachtung für Amazon und alles, was diese Firma repräsentiert, allein zu sein. Die produzieren doch jetzt auch tolle Fernsehserien, wie soll man da noch böse sein? Dann betritt man das Geschäft im dritten Stock von „The Shops On Columbus Circle“ und glaubt, die kulturelle und moralische Leere des Allesfressers Amazon mit der Hand greifen zu können.
Die Marktkapitalisierung von Amazon steuert auf eine halbe Billion Dollar zu, ungefähr der zwanzigfache Wert von Volkswagen, obwohl der Online-Händler minimale Gewinne abwirft. Bei diesem Unternehmenswert ist das eingepreist, was man an der Wall Street „Phantasie“ nennt: Die Aussicht darauf, dass Amazon mit seiner Strategie von Ausbeutung und Dumping noch viele Branchen bricht, wie es beim amerikanischen Buchhandel gelungen ist.
Eine Gegenbewegung zu Amazons Geschäftsgebaren ist die Blüte der unabhängigen Buchhändler in Amerika, deren Zahl in fünf Jahren um ein Drittel gestiegen ist – allerdings bei beschaulichem Marktanteil von zwei Prozent. Da kann Amazon nicht tatenlos zuschauen. In Seattle, Chicago und San Diego eröffneten Amazon Bookstores in unmittelbarer Nähe zu unabhänigigen Händlern. Die klagen über Umsatzeinbrüche. Letzten Monat stieg der Kurs von Amazon an der Börse um sieben Prozent – 35 Milliarden Dollar mehr für die Aktionäre.