Sachbuch über die Drogenwelt : Verwandlung der bösen Geister
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Ein Ermittler des Bundeskriminalamts präsentiert Crystal Meth (Methamphetamin). Bild: dpa
Ihr Nimbus schwindet, seit sie zur Medizin für überforderte Menschen geworden sind: Alexander Wendt führt in seinem Buch „Kristall“ in die Welt der Drogen – und damit in das Elend der Konsumenten.
Alexander Wendt bekennt sich zu der Forderung, dass die Zustände vor der Öffnung der Grenze von 2015 wiederhergestellt werden sollten. Denn er hat die „Erklärung 2018“ unterschrieben, die Henryk Broder und Vera Lengsfeld vor dem Petitionsausschuss des Bundestages verteidigten. Mit Hinweis auf diese Unterschrift hat jüngst eine Berliner Buchhandlung die Vorstellung seines jüngsten Buches wieder absagt, nachdem sie ihn zunächst dazu eingeladen hatte.
Tut die politische Gesinnung des Autors seinem Buch über Drogen Abbruch? Nein. Der Leser, ob weltanschaulich rechts oder links, wird daran Vergnügen finden, denn hier beherrscht einer sein Handwerk. Das gilt für die vielen kleinen Preziosen, die Wendt wie nebenbei aufsammelt. So wissen selbst die in Sachen Drogen gut Informierten womöglich nicht, warum Crystal Meth im Schatten der hohen Tannen des Böhmerwaldes boomte, als der Westen an der Heroinnadel hing. Und im feinsten Funktionärsjargon lässt sich nachlesen, wie die Staatssicherheit operativ mit den in der Hauptstadt der DDR „durchgeführten Partys“ umging.
Die Abkömmlinge des Pervitin
Vor allem aber besticht die sprachliche Form. Wendt gelingt es, auf wenigen Seiten das armselige Elend aktueller Drogenkonsumenten so zu skizzieren, dass keiner mehr Lust auf das Zeug hat. Da rüstet sich der Mittvierziger aus der IT-Branche auf einer kaputten Toilette mit Crystal Meth für ein anstrengendes Sex- und Partywochenende. Er will durchhalten, mithalten mit den kraftstrotzenden Jungen. Das alles klingt eher nach Bergtour als nach Berghain. Die hier beschriebenen Vorbereitungen wecken weniger Assoziationen an Exzesse, sie lassen vielmehr an einen Beipackzettel für Zäpfchen denken: Rektal zu applizieren und bitte ja genug trinken.
Reden wir hier wirklich über Drogen, hat der Begriff überhaupt noch eine dämonische Konnotation? Sollen im Drogenrausch auch heute noch Grenzen überschritten werden, wie der eindimensionale Klappentext suggeriert? Das Buch selbst differenziert weit besser. Die Drogen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die derzeit von sich reden machen, sind nicht ohne Grund Pervitin-Abkömmlinge, Varianten des Amphetamins. Im Krieg wurden solche Substanzen den Piloten und Soldaten verabreicht, damit sie konzentrierter kämpfen konnten. Daran hat sich nicht viel geändert, obwohl die Kämpfe von heute in der Schule, an der Universität oder im Berufsalltag ausgetragen werden. Drogen sind zur Medizin für überforderte Menschen geworden.
Die Dosis macht das Gift
Diese Substanzen sollen wie andere sogenannte Neuroenhancer, Krücken fürs Gehirn sein, das Lernen fördern, die Performance verbessern, Zittern vermeiden helfen. Vom Arzt bis zum Zocker an der Börse – die Konsumenten versprechen sich nicht Entspannung, Vergessen, Chillen oder Wegdriften aus der Realität. Es geht im Gegenteil um Leistungssteigerung. Offenbar sind nicht nur einzelne Bundestagsabgeordnete und Grünen-Politiker den Anforderungen nicht gewachsen und müssen daher zur Droge greifen. Die Loser und Low-Performer, die zu Crystal Meth & Co. greifen, brauchen eigentlich eine Therapie.