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Sarah Kirschs Gedichte : Poetische Prankenschläge

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Eines ihrer bekanntesten Gedichte gilt der Droste. Ihr hat sie die schönste Hommage gewidmet, die dem westfälischen Fräulein, der Naturdichterin und der Liebenden je zuteil wurde. „Der Droste würde ich gern Wasser reichen / In alte Spiegel mit ihr sehen, Vögel / Nennen“, hebt Sarah Kirschs Gedicht an. Ein Gedicht, das wie vom Widerschein des Meersburger Turmzimmers durchglänzt ist.

Die glücklichere Phase

Im Zeichen der Droste - also im Zeichen von Natur- und Liebeslyrik - steht die zweite, die glücklichere Phase von Leben und Poesie. Sarah Kirsch vollendet ihre bukolische Sendung mit sprechenden Titeln wie: „Erdreich“, „Katzenleben“, „Schneewärme“, „Erlkönigs Tochter“, „Bodenlos“ und „Schwanenliebe“. Schleswig-Holstein - in kalauernder Prosa auch einmal „Schließlich Holzbein, Meerumschlungen“ genannt, wurde zu ihrem Refugium. Das aufgelassene Dorfschulhaus von Tielenhemme bot neben poetischer Muße auch eine kompensatorische Lebenspraxis, die Sorge für Landwirtschaft, für Kreaturen und Kreatürliches.

Bukolik ist für Sarah Kirsch keine harmlose Idylle. Bei ihr ist Naturlyrik - anders als bei Loerke und Lehmann - keine Suche nach dem Grünen Gott, sondern das einmalige Amalgam von Zauberei und sachlicher Nüchternheit. Die studierte Biologin hat nicht bloß die Naturkenntnisse der Droste, sie besitzt auch die Überschärfe ihrer Augen. Sie hat einen Sinn für Details, die das Bewußtsein schwindeln lassen: „Jeder Halm / War geschärft frisch angespitzt und ich zählte / Nebenäste vierundzwanzigster Ordnung / Die Welt bestand aus lauter Einzelheiten / Es war genau zu unterscheiden / Welches übriggebliebene Blatt / Um ein weniges vor oder hinter / Anderem leis sich bewegte.“

Liebevolle Schärfe

Diese liebevolle Schärfe hat etwas von Andacht, wie sie einer Spätzeit zukommt, die alles noch einmal sehen will. Günter Grass hat einmal gemeint, die Lyrik sei in ihrem Bewußtsein den anderen Gattungen voraus, in ihr werde nämlich schon Abschied von der Natur genommen. Sarah Kirsch hat diese Befürchtung für ein kleines Gedicht ernst genommen. Es heißt „Bäume“ und geht so: „Früher sollen sie / Wälder gebildet haben und Vögel / Auch Libellen genannt kleine / Huhnähnliche Wesen die zu / Singen vermochten schauten herab.“

Sarah Kirsch singt solche Adieus nicht ohne Humor. Von Erschöpfung kann keine Rede sein. „Schwanenliebe“, ihr jüngster Einzelband, ist alles andere als ein Schwanengesang. Die Gedichte, die uns aus ihm entgegentönen, werden zwar immer kleiner, Haiku-ähnlich. Dafür treten sie in wahren Schwärmen auf. „Gedichte also sind / Sonderbare kleine / Katzen denen gerade / Die Augen aufgehn“, heißt ein Vierzeiler, und der müßte auch Germanisten überzeugen. Ich habe ein besonderes Faible für eine neue Neigung der Dichterin - der zum kalauerhaft Komischen, ja zum höheren Blödsinn. Da kippt Insistenz in reine Poesie um: „Zigarren werden geschickt / Natürlich werden Zigarren / Geschickt. / Immer werden Zigarren / Geschickt werden.“

Das nimmt man gern als ein Versprechen Sarah Kirschs, die morgen ihren siebzigsten Geburtstag feiert. Sie wird uns noch weiter mit poetischen Rauchwaren beliefern, denen auch Nichtraucher nicht widerstehen können.

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