Was Sahra Wagenknecht schreibt : Über diesen Kommunismus könnte man reden
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Ganz in Rot: Sahra Wagenknecht auf dem Parteitag der Linken im vergangenen Jahr. Bild: dpa
Auf dem Parteitag der Linken hat Sahra Wagenknecht einen schweren Stand. In ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“ schreibt sie derweil recht klug über eine gerechte Wirtschaftsordnung. Und sie hat noch eine Rechnung offen.
Das Genre des Politikerbuches teilt sich in zwei Gruppen. Einerseits sind da die abgetretenen Politiker, meist im fortgeschrittenen Alter, die zum Zwecke der Rechtfertigung oder Ruhegeldaufbesserung, manchmal auch nur aus Ranküne oder Frust über den eigenen Bedeutungsverlust Autobiographisches und Apologetisches schreiben. Andererseits die noch aktiven Politiker, die unter Zweitverwertung ihrer Reden und Strategiepapiere ein politisches Programm vorlegen und damit bestenfalls eine Debatte anstoßen wollen, sich schlechtestenfalls einfach nur wichtigtun. Beiden Gruppen gemeinsam ist, dass sie meist auf einen Ghostwriter (Ko-Autor oder Mitarbeiter genannt) zurückgreifen müssen und dass unter den genannten Voraussetzungen Bücher entstehen, die die Welt beim besten Willen nicht braucht.
Für das neue Buch von Sahra Wagenknecht gilt nichts von alledem. Ihre dreihundert mutmaßlich selbst geschriebenen, sehr gut lesbaren und mit klugen Beobachtungen und Argumenten gefüllten Seiten sind der schöne, seltene Ausnahmefall des Politikerbuches: ideenreich, fundiert, anregend. Man würde ihr gern an vielen Stellen Einwände und skeptische Fragen entgegenhalten, manchmal will man auch rundheraus widersprechen, aber das spricht nicht gegen ihr Buch. Nur einen einzigen typischen Politikerfehler macht sie dann doch. Dazu später mehr.
Der Titel setzt auf Schlüsselreize
„Reichtum ohne Gier“ ist ein Titel, der die leicht durchschaubare Absicht verfolgt, populäre Reizworte zu verbinden, doch ist Populismus das, was man der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag - unter den Bedingungen der großen Koalition also so etwas wie die deutsche Oppositionsführerin - in diesem Buch kaum vorwerfen kann. Zu einem erheblichen Teil ist es ein volkswirtschaftliches Propädeutikum, das Grundlegendes über die bestehende Wirtschaftsordnung erklärt, traditionelle Denkschulen der Ökonomie vorstellt und die Zusammenhänge zwischen Kapital, Waren, Arbeit und Menschen verständlich macht, namentlich unter den Bedingungen der Gegenwart. Dass diese Sichtweise politisch rot eingefärbt ist, versteht sich.
Dass Sahra Wagenknecht als Politikerin aber ernsthafter gearbeitet hat als die meisten Kollegen der Generation Guttenberg, merkt man ihrem Buch an. Sie zitiert die Vordenker der modernen Wirtschaft von Friedrich-August von Hayek bis Milton Friedman, wobei sie kaum auf klassische marxistische Denkmuster und die tradierten antiliberalen Reflexe zurückgreift. Stattdessen zeigt sie anhand vieler praktischer Beispiele, dass das Axiom des freien Marktes kritisch hinterfragt werden muss, weil vieles aus dem Ruder gelaufen ist.
Manches davon mag man banal finden, es ist aber dennoch wahr: „Der Kern der Macht der oberen Zehntausend und der Ursprung ihrer leistungslosen Bezüge ist die heutige Verfassung des Wirtschaftseigentums. (. . .) Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts konzentrieren sich in der Verfügung der reichsten 1 Prozent die wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen. Erneut arbeiten 99 Prozent der Bevölkerung zum überwiegenden Teil, direkt oder indirekt, für den Reichtum dieses neuen Geldadels.“
Sie stellt die richtigen Fragen
Dazu ließe sich manche Fußnote anbringen, etwa dass schon jetzt eine erhebliche Umverteilung stattfindet und neben dem Wohlstand auch die Steuerlast extrem ungleich verteilt ist, aber im Kern wird doch die richtige Frage angesprochen: Warum gelingt es dem angeblich so überlegenen System eines freiheitlich organisierten Kapitalismus nicht, den vorhandenen Reichtum gerechter zu verteilen und aus den enormen Produktivitätssteigerungen ein Kapital zu schlagen, das allen und nicht nur wenigen zugutekommt?