Die Verkunstung der Welt : Kommt Kultur nur den Reichen zugute?
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Ironische Kreuzung von Kunst, Mode und Tourismus: Masters Kollektion von Jeff Koons für Louis Vuitton Bild: EPA
Zwei Soziologen entdecken eine neue Form des Kapitalismus: Er schöpft aus Mode, Luxus, Kunst und Tourismus. Kann das stimmen?
Sollte sich die zentrale These dieses Buches belegen lassen, dann wäre das sensationell. Dann erlebte der globale Kapitalismus gerade eine Verwandlung von einer Tragweite, die der Ablösung von Ackerland und Vieh durch Kohle und Erdöl als zentrale Wertschöpfungsquellen im 19. Jahrhundert vergleichbar wäre. Dann würde sich Reichtum heute immer weniger aus fossilen Rohstoffen speisen und immer mehr aus den immateriellen Rohstoffen des Geistes – aus den Erzählungen, die Dingen, Orten und Personen Wert verleihen. Dann wären alle, deren Werke hier verhandelt werden, alle, die darüber schreiben, und alle, die darüber lesen, an der Zunahme der globalen Vermögen beteiligt – allerdings nur jener derer, die bereits vermögend sind.
Denn herrschte bislang weitgehend Konsens darüber, dass die Segnungen der Kultur das Wohlergehen der ganzen Gesellschaft befördern, setzt dieses Buch zum Beweis an, dass sie zumindest in monetärer Hinsicht nur einer wachsenden Klasse von Rentiers zugutekommen – Menschen, die über bedeutende Kunstwerke verfügen, denkmalgeschützte Schlösser, historisch rekonstruierte Innenstadtviertel oder besonders renommierte Weingüter. Anderen ist es überlassen, entweder als Bedienstete deren Besitz intakt zu halten und die Kultur- und Ökotouristen zu empfangen, die allseits in geschichtsträchtig aufbereitete Immobilien strömen und diese profitabel halten; ebendiese Touristen zu sein; oder als unterbezahltes Fachpersonal den Wert der Kulturgüter zu steigern durch das Verfassen von kunst- und architekturhistorischen Studien, Reisereportagen, Denkmalschutzanträgen oder Marketingkampagnen – oder eben durch die Ausstattung der Immobilien als Künstler, Architekten und Designer.
Kommt Kultur nur den Reichen zugute?
Hätte dieses Buch recht, dann wäre neben der Deregulierung der Finanzmärkte seit den siebziger Jahren eine neue Erklärung gefunden für die beständige Zunahme der Einkünfte durch Vermögen gegenüber den Einkünften aus Arbeit. Dann schöpften die Reichen ihren Reichtum nicht mehr bloß aus der Ausbeutung der Armen; sondern entscheidend aus der Ausbeutung der Reichen: jener, die sich einzigartige Reisen, Kunstwerke und Luxusgegenstände leisten können. Und würden damit alle immer reicher. Und das mittels des Rohstoffs, den wir alle pflegen, wenn wir schöne, gute, wahre Dinge herstellen, von ihnen sprechen und sie genießen: Kultur.
Diese wurde von den Sozialwissenschaften immer im Konflikt mit der Ökonomie gesehen, so wie auch Walter Benjamin im Luxuskonsum ein Bollwerk gegen die Gleichmacherei des Kapitalismus sah. Dieses Buch dagegen tut, wovon es behauptet, dass es zumindest die französische Kulturpolitik seit dem Kultusminister und Deleuze-Verzwecker Jack Lang in den achtziger Jahren tue: Es führt Kultur und Ökonomie als untrennbare Teile desselben Systems ineinander.
Einer seiner Autoren, Luc Boltanski – Bruder des bekannteren Künstlers Christian Boltanski –, zählt zu den bedeutendsten Soziologen Frankreichs. Sein 1999 gemeinsam mit Ève Chiapello veröffentlichtes Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ wird regelmäßig zitiert, wenn es um den „immateriellen“ oder „mentalen“ Kapitalismus geht, der seine Gegner immunisiert, indem er sich deren Ideale – Kreativität, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung – als Managementtugenden zu eigen macht und so ihre Ziele untrennbar mit seinen vermischt.