August von Goethes Leben : Lies keine Oden, Sohn, bring lieber Leberwurst
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Sein Leben im Dienst des Großherzogs und als Verwalter des goetheschen Haushalts glich einem Hamsterrad: August von Goethe auf einem Porträt von 1825 Bild: akg-images
Vom Segen und Fluch eines großen Namens: Stephan Oswald erzählt die Lebensgeschichte August von Goethes als Drama eines ausgenutzten Kindes.
Selbst im Tod hat August von Goethe keinen Vornamen. „Goethe filius“ steht auf seinem Grabstein auf dem protestantischen Friedhof in Rom mit dem von Bertel Thorvaldsen entworfenen Bronzemedaillon, „Goethe Sohn“. Darunter hat Goethe père den Bildhauer aus Dänemark schreiben lassen, dass sein Filius „patri antevertens“, „dem Vater vorauseilend“, vierzigjährig im Jahr 1830 starb. Im neunzehnten Jahrhundert wurde das Grab zum Wallfahrtsort, aber nicht etwa, weil hier ein Weimarer Beamter mit Talent zur Administration und erlesenem Stammbaum bestattet lag. Nein, es stand für die Verbindung des Dichters Goethe mit Rom, der Stadt, in der er, nach dem Zeugnis seiner „Römischen Elegien“, seine letzte Ruhe hatte finden wollen, „Cestius’ Mal vorbei“, auf dem Friedhof an der Cestius-Pyramide. Sein Sohn, der den Wunsch des Vaters eingelöst hatte, verfiel so noch als Toter dem Segensfluch seines Namens.
Eine „Ehrenrettung“ August von Goethes unternimmt der an der Universität Parma emeritierte Germanist Stephan Oswald mit seiner Biographie. Er rennt damit offene Türen ein, denn über Kinder berühmter oder berüchtigter Väter wurde nicht erst in jüngster Zeit viel Ehrenrettendes publiziert. Umso erstaunlicher ist, dass das für den Sohn des größten deutschen Dichters gerade nicht gilt. Die letzte Lebensbeschreibung Augusts, verfasst von Wilhelm Bode, erschien 1918; seither sind viele Einzelstudien, aber keine Gesamtbetrachtung zum Thema veröffentlicht worden. Oswald betritt also beinahe Neuland, und er tut es mit dem Selbstbewusstsein eines Restaurators, der mit ganzen Schichten abgelagerter und verkrusteter Vorurteile aufräumt.
Das geläufigste Klischee über den unehelich geborenen Sohn des Geheimrats Johann Wolfgang und seiner Geliebten und späteren Ehefrau Christiane Vulpius lautet, dass er ein Nichtsnutz und Kleingeist war. Oswald widerlegt es nach allen Regeln der Biographenkunst. August war ein wechselhafter, aber braver Schüler, der sich früh mit Mineralien und Gesteinsformen auskannte. Als Kammerrat des Großherzogtums Weimar oblag ihm die Aufsicht über das Bauwesen, die er gewissenhaft versah. Ab Anfang 1816 zog ihn sein Vater zudem bei der Verwaltung der großherzoglichen „Unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst“ heran, zu denen nicht weniger als vierzehn Institutionen gehörten, darunter die heutige Anna-Amalia-Bibliothek und die Anatomische Sammlung in Jena. Schließlich übertrug ihm der alternde Dichter in jenem Schicksalsjahr, in dem Augusts Mutter starb, auch noch die Verwaltung des goetheschen Haushalts, von den Quisquilien der Verpflegung mit Rheinwein, Leberwurst und Räucherlachs über die Besorgung von Tinte und Briefpapier bis zu den nervenzehrenden Honorarverhandlungen für die „Ausgabe letzter Hand“ von Goethes Werken. Es war, wie Oswald resümiert, „ein Leben im Hamsterrad“.
In dieses Hamsterrad hatte Vater Goethe seinen einzigen Sohn ganz planmäßig hineinmanövriert. Von der amtlichen Legitimierung Augusts durch großherzoglichen Erlass über die Studienjahre in Heidelberg und Jena bis zur Assessorstelle in Kapellendorf setzte er den Filius in jeder Hinsicht aufs Gleis. Als August im Jahr 1813 in das Freiwilligenkorps eintrat, mit dem sich der Kleinstaat Weimar an der Niederwerfung Napoleons beteiligte, sorgte Goethe dafür, dass sein Sprössling möglichst weit vom Kampfgeschehen entfernt blieb. Es war womöglich der letzte Moment, in dem August gegen das väterliche Regiment hätte rebellieren können; stattdessen fügte er sich. Bei der Rückkehr der siegreichen Freiwilligenverbände wurde er von einem seiner Altersgenossen, die ihn als Drückeberger verspotteten, zum Duell gefordert. Vater Goethe sorgte dafür, dass der Zweikampf verboten wurde. August kompensierte die Schmach durch einen Napoleonkult, der in seinen späten Jahren die tollsten Blüten trieb.