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August von Goethes Leben : Lies keine Oden, Sohn, bring lieber Leberwurst

Seine Frau war über Augusts Tod erleichtert

In das erwähnte Schicksalsjahr 1816 fiel auch Augusts Verlobung mit Ottilie von Pogwisch, um die er jahrelang erfolglos geworben hatte. Die Verbindung mit dem kapriziösen Fräulein aus altem holsteinischem Adel scheint die einzige Lebensentscheidung gewesen zu sein, bei der sich Goethe filius nicht von seinem Alten hatte hineinreden lassen. Umso schlimmer ging der Herzensschuss nach hinten los. Ottilie war eine Musennatur, die davon träumte, ein Dichtergenie zu entdecken und unter ihre Fittiche zu nehmen, während August seine Erfüllung am Schreibtisch, im Mineralienkabinett und im Wirtshaus fand. Die Ehe der beiden war, trotz hoffnungsvoller Anfänge wie der gemeinsamen Reise nach Berlin im Jahr 1819, eine Hölle, aus der sich Ottilie in immer neue Amouren und August schließlich in eine schwere De­pres­sion flüchtete, die seine lang gehegten Pläne für eine Italienreise beschleunigte. Als sie erfuhr, dass er von dort nicht mehr wiederkehren würde, verlieh Ottilie ihrer Erleichterung freimütig Ausdruck.

Das zweite wichtige Klischee über Au­gust von Goethe kann Oswald nicht widerlegen: August war Alkoholiker. Schon als Jugendlicher konsumierte er flaschenweise Wein und Bier, und in späteren Jahren steigerte sich sein täglicher Bedarf derart, dass er nie ohne Korkenzieher und Weinvorrat aus dem Haus ging. Einen Teil dieser Sucht führt Oswald auf die Trinkgewohnheiten am Frauenplan zurück, wo bei Familien­essen der Alkohol in Strömen floss; den an­de­ren, größeren schreibt er der Seelennot eines abhängigen Lebens zu. Au­gust trank sich sein Unglück schön, weil er es nicht zu bekämpfen vermochte. Gerührt zitiert der Biograph einen Brief aus Mailand vom Juli 1830, in dem August vom Abnehmen seiner Schlafstörungen und dem „wunderbaren Gefühl“ berichtet, „eine Zeit lang ganz sein eigener Herr zu seyn“. Doch die Hochstimmung hält nicht vor. In Neapel, wo er mit „viel Gesindel“ in den Kneipen sitzt und eine Runde nach der anderen ausgibt, läuft August wieder im alten Trott. Zwar stirbt er in Rom, wie Oswald plausibel zeigt, nicht am Suff, sondern an Meningitis, aber sein frühes Ende kommt für niemanden aus seiner Umgebung überraschend.

Nach Augusts Tod haben sein Vater und Ottilie offenbar zahlreiche Dokumente seines Lebens vernichtet. So fehlt, von den Reisebriefen aus Italien abgesehen, die Korrespondenz zwischen Vater und Sohn ab 1823 fast völlig. Zu den we­ni­gen Selbstzeugnissen Augusts, die dem Autodafé entgingen, gehören zwei literarische Fragmente und ein „Stummes Ge­spräch“ ge­nannter Briefentwurf, die in Os­walds Buch zum ersten Mal publiziert werden.

Seit elf Jahren, heißt es in dem an den Vater gerichteten Brief, verwalte er, Au­gust, „diesen Platz“ als Faktotum des goetheschen Haushalts, „mit der Welle der Anforderung kämpfend mit den alten un­zu­läng­lichen Mitteln“, und „erst die Aussicht auf die nächsten Jahre gewährt zwideutig (sic!) Ruhe“. Es ist der Notschrei eines ausgebeuteten Kindes, das sich, zwischen Sohnesliebe und Lebenswillen zerrissen, vom Tod seines berühmten Erzeugers den Aufbruch in die Selbständigkeit erhofft. Der Entwurf wurde nie aus­ge­ar­bei­tet. Der Tod, der August befreien sollte, nahm ihm statt- dessen die Möglichkeit, sich neu zu er­finden. Aber das Bild seines Ringens blieb der Nachwelt erhalten. Stephan Oswald hat es in einen würdigen Rahmen gestellt.

Stephan Oswald: „Im Schatten des Vaters“. August von Goethe – Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2023. 424 S., Abb., 32,– €.

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