Bücher über Fridays for Future : Gretarianer sind ziemlich anspruchsvolle junge Leute
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Öffentliche Aktion in Zeiten von Corona: "Fridays for Future"-Aktivisten legen im April dieses Jahres Plakate und das Logo der Bewegung auf der Wiese vor dem Berliner Reichstag aus. Bild: Picture-Alliance
Ökotaktiker statt Egotaktiker: Zwei sehr unterschiedliche Bücher machen sich an eine Charakterisierung der Fridays-for-Future-Aktivisten.
Ein Werk, mit dem wir fest in diesem Frühjahr gerechnet hatten, lässt noch auf sich warten: Der Band „Liebe Greta“ hätte sämtliche offenen Briefe bündeln können, mit denen sich bekannte Menschen in den vergangenen Monaten an Greta Thunberg gewandt haben, und zwar zumeist in kritischem Ton. Boris Palmer, Jürgen Domian und Franz Josef Wagner haben ihr schon geschrieben, Dieter Nuhr, Ulf Poschardt und Christian Lindner hätten gewiss auch noch ein paar Zeilen beigesteuert – und fertig wäre ein pointiert-polemisches Bändchen gewesen, in dem ein paar zugegebenermaßen mittelalte weiße Männer die junge Schwedin ins Gebet genommen und ermahnt hätten, nicht immer so nassforsch und unversöhnlich aufzutreten und ab und an auch mal freundlich zu lächeln.
Gibt’s noch nicht, kommt irgendwann sicher. Gebührende Aufmerksamkeit erfahren Thunberg und ihre Mitstreiter bei „Fridays for Future“ (FFF) auch jetzt schon. Zwei Bücher zum Beispiel widmen sich der grünen Jugend, beide verfasst von Männern, allerdings nicht von mittelalten. Den einen, Klaus Hurrelmann, Jahrgang 1944, darf man getrost den großen alten Mann der Jugendforschung nennen; der andere, Clemens Traub, geboren 1997, ist ein junger Renegat der neuen FFF-Bewegung. Der Blick des Älteren ist der deutlich mildere.
Gesellschaftliches Engagement
Dass die nach der Jahrtausendwende geborenen Menschen gern als „Generation Z“ bezeichnet werden, ist kaum mehr als ein Notbehelf, da ihre Vorgänger nun mal die Generationen X und Y waren – und es nährt womöglich noch die Endzeitängste: Was, bitte schön, soll nach Z noch kommen? Klaus Hurrelmann tauft sie dann auch kurzerhand um und benennt sein gemeinsam mit Erik Albrecht verfasstes Buch „Generation Greta“. Über die Frage, ob jemand mit so außergewöhnlicher Persönlichkeit und exponierter Position tatsächlich repräsentativ sein kann, ließe sich streiten. Andererseits hat die Alliteration schon bei der „Generation Golf“ gut funktioniert, und auch damals fahndete mancher der so Verschlagworteten vergebens nach dem fabrikneuen VW, den er zu seinem Achtzehnten angeblich hätte bekommen sollen.
Der „Generation Greta“ nähern sich die Verfasser über die Auswertung zahlreicher Studien, insbesondere der von Hurrelmann mitverantworteten Shell-Jugendstudie, sowie über Interviews und teilnehmende Beobachtungen an Schulen oder beim Sommerkongress der deutschen FFF-Sektion. Das meiste von dem, was sie entdecken, findet ihr Wohlwollen. Im Gegensatz zu der verunsicherten Generation Y seien die Gretarianer „keine Egotaktiker, sondern Ökotaktiker“, deren gesellschaftliches Engagement „explizit und klar“ sei. Sie setzten auf „Sachlichkeit und Informiertheit“ und strebten eine Allianz mit ihren Eltern und Großeltern an. Dabei komme dieser Generation zugute, „dass sie ohne berufliche Existenzsorgen in die Zukunft“ blicken könne. Die Corona-Krise war bei der Arbeit am Buch noch nicht absehbar.
Nintendo oder Vanilleeis
Dass das Interesse der Jugend an klassischen politischen Parteien gering sei, hält Hurrelmann und Albrecht nicht von der Forderung ab, das Mindestalter bei Wahlen auf sechzehn oder vierzehn zu senken: Im Grunde könne man „vom zwölften Lebensjahr an einschätzen, um welche Alternativen es bei der Wahl“ gehe. Eine schlagartige Verbesserung der Welt freilich darf man sich davon nicht erhoffen: Laut Shell-Jugendstudie neigt immerhin ein Drittel der Befragten zu populistischen oder gar nationalpopulistischen Positionen.
Was diese Generation „denkt und wie sie fühlt“, will das Buch laut Untertitel enthüllen, das Psychogramm jedoch bleibt stellenweise fragmentarisch, auch weil sich der Blick woandershin wendet. So analysieren die Autoren ausführlich und durchaus erhellend die Schwächen von Arbeitsmarkt und Schulsystem, neigen dabei jedoch dazu, gerade das Letztere zu überfordern: Gesunde Ernährung, ökonomische Bildung, Medienkompetenz – all dies soll möglichst ein jeweils eigenständiges Schulfach werden. Und wenn dann versucht wird, die Beobachtungen vom Detail ins Allgemeine zu drehen, liest sich das mitunter kurios: „Die Generation Greta liebt diese Art der Ausbildung“, heißt es etwa übers duale Studium. Noch mehr liebt die Generation Greta womöglich Nintendo oder Vanilleeis.
Homogen, elitär und moralisch abgehoben
Und wenn sie auch keine Egotaktiker sind, anspruchsvoll sind auch diese jungen Menschen – was ihre Ausbildung angeht, ihre Jobs und ihren Lebensstandard, der sich keinesfalls verschlechtern soll. Hier erkennt man dann doch einen Widerspruch zur Mission Gretas und auch zur Diagnose von Hurrelmann und Albrecht, dass „alle Menschen ihre Art zu leben radikal ändern“ müssten, solle der Klimawandel noch abgewendet werden. Doch selbst der bereitet nicht allen Vertretern der Generation Greta Sorge. Getragen werde FFF vor allem von angehenden Abiturienten und Studenten, gestehen die Autoren ein, finden das aber nicht allzu tragisch: Die Arbeiterklasse sei auch unter den Achtundsechzigern schwach vertreten gewesen, welche dennoch gesellschaftlich viel bewegt hätten.
Zur gleichen Erkenntnis gelangt auch Clemens Traub: „Akademikerkinder bleiben unter sich“, kritisiert er die „Fridays for Future“- Bewegung; sie sei homogen, elitär und moralisch abgehoben. Ein ernstzunehmender Vorwurf, der sich allerdings arg abnutzt, wenn man ihn wie Traub zu einem ganzen Buch auswalzt – dessen angestrengt wortspielerischer Titel „Future for Fridays?“ suggeriert, in dieser unserer Welt seien nicht nur Nashörner und pazifische Inselchen, sondern auch Freitage bedroht.
Eitle Selbstverwirklicher?
Eine „Streitschrift“ will Traubs Buch sein, und so fährt er, der anfangs begeisterter FFF-Aktivist gewesen sein will, schweres Geschütz gegen die einstigen Weggefährten auf. Orwell, Rilke, Fontane, Goethe: die größten literarischen Namen sind gerade gut genug, um mit einem gewichtigen Zitat eines der kurzen Kapitel einzuleiten. Traub selbst bevorzugt das eher brachiale Stilmittel des Ausrufezeichens, von dem er – wir haben es schließlich mit einer Streitschrift zu tun! – erschöpfend Gebrauch macht: „Was ich noch nicht ahnte: In den kommenden Wochen arbeitete es ordentlich in mir!“
An Greta Thunberg stören Traub deren „fanatisch anmutende Momente und Verallgemeinerungen“, wenn sie etwa Politikern „allesamt Heuchelei und Verlogenheit“ unterstelle: „Mir gefällt diese Vereinfachung nicht.“ Ungeachtet dessen verallgemeinert und vereinfacht Traub selbst nach Herzenslust: Da möchten die „Fridays for Future“-Kämpfer in Wahrheit „ein Hochglanz-Leben führen können wie die Influencer auf Instagram und Facebook“; diese „eitlen Selbstverwirklicher“ seien „konsumverrückt“, und es gehe ihnen vor allem um ihre Karrieren, die sie durch möglichst viele Talkshow-Auftritte vorantreiben wollten. Eine Einstellung, die Traub selbst, der SPD-Mitglied ist, für einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender arbeitet und mit zweiundzwanzig Jahren ein Buch auf den Markt bringt, natürlich völlig fremd ist.
Streitschrift-Schnellschüsse
Hartnäckig und unironisch nennt Traub seine einstigen Mitstreiter „meine ,Fridays for Future‘-Freunde“, obgleich er an ihnen kein gutes Haar lässt. Geradezu obsessiv arbeitet er sich an Luisa Neubauer ab. Das prominente FFF-Gesicht, ärgert er sich, erreiche man „nur noch über ihr Management! Demonstranten als Popstars!“ Neubauer sei doch tatsächlich – was ihren Einsatz offenbar diskreditiert – „in einem Villenviertel zur Schule gegangen“, und während „viele Bürger in ihrem Alltag neue Klimakosten hinnehmen müssen, erleben sie zugleich, wie eine Luisa Neubauer einen Aufsichtsratsposten bei Siemens angeboten bekommt“. Den sie, doch das verschweigt Traub, abgelehnt hat.
Die „Fridays for Future“-Bewegung hat gewiss nicht nur Lob, aber doch deutlich bessere Kritik verdient als derartige Streitschrift-Schnellschüsse. Luisa Neubauer mit ihrer „gelegentlichen Überheblichkeit“ repräsentiere perfekt eine Generation, die sich nicht unterordnen und akzeptieren könne, einmal nicht ihren Willen zu bekommen“, schreibt Traub, und das „könnte mit unserer Erziehung zusammenhängen“: Viele FFF-Köpfe seien Einzelkinder und daher an „unrealistisches Anspruchsdenken“ gewöhnt. Ob da was dran ist? Die drei Geschwister Luisa Neubauers hätten dazu vielleicht etwas erzählen können.
Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht: „Generation Greta“. Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist. Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2020. 271 S., geb., 19,95 €.
Clemens Traub: „Future for Fridays?“ Streitschrift eines jungen Fridays-for-Future-Kritikers. Quadriga Verlag, Köln 2020. 144 S., geb., 14,90 €.