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Berg Scopus : Ein strategisches Streitobjekt im Kampf um Macht und Kultur

  • -Aktualisiert am

Blick vom Berg Scopus auf den Felsendom in Jerusalem Bild: picture-alliance / dpa

Die israelische Historikerin Yfaat Weiss rekapituliert die Bedeutung des Bergs Scopus im Jerusalem des zwanzigsten Jahrhunderts.

          2 Min.

          Israels zentrales Bildungsinstitut, die He­bräische Universität, wurde schon 1925 gegründet, lange bevor an einen Staat zu denken war. Ihr Campus lag auf dem Berg Scopus, der über der Altstadt aufragt. Yfaat Weiss – eine Historikerin an der Hebräischen Universität, die heute das Leipziger Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur leitet – beschreibt seine spannungsreiche Entwicklung.

          „Ein anderes Heiligtum“ heißt das erste Kapitel ihres Buchs. Auf dem Berg Scopus hatte Titus die römischen Legionen stationiert, die Jerusalem eroberten und seinen Tempel zerstörten. Ihre eschatologischen Hoffnungen auf eine Rückkehr aus dem Exil hatten die Juden immer mit dem Bau eines dritten Tempels verbunden, aber die Universität war das Wahrzeichen einer anderen, säkularen Kultur.

          In gepanzerten Konvois

          Gershom Scholem, der schon früh zum Lehrkörper zählte, und viele andere Dozenten gehörten dem „Brit Schalom“ an, dem „Friedensbund“, der für einen binationalen Staat von Juden und Arabern eintrat. Bezeichnend ist auch, dass der Präsident der Universität, Judah L. Magnes, ein amerikanischer Reformrabbiner war: Vertreter eines modernen, weltoffenen Judentums, das später, als die politischen und ideologischen Linien sich verhärteten, in Israel nicht mehr Fuß fassen konnte.

          Yfaat Weiss: „Niemandsland“. Hader am Berg Scopus.
          Yfaat Weiss: „Niemandsland“. Hader am Berg Scopus. : Bild: Vandenhoeck & Ruprecht

          In den Dreißigerjahren verschärfte sich die Lage. Aus Europa flohen viele Juden nach Palästina, und die englische Mandatsmacht konnte die Spannungen zwischen ihnen und den Arabern kaum eindämmen. Im November 1947, als das Ausmaß der Schoah schon bekannt war, ratifizierte die UNO den Teilungsplan, und lakonisch stellt Yfaat Weiss fest: Die Hoffnungen, die ihre Gründer „in die Universität als res publica gesetzt hatten, schwanden mit der Erlangung der politischen Souveränität“.

          Der Berg Scopus war jetzt nur noch in gepanzerten Konvois zu erreichen. Einen Monat vor Ausrufung des Staates, im April 1948, kamen bei einem Überfall auf einen dieser Konvois 77 Menschen ums Leben. Das Krankenhaus, das ebenfalls auf dem Berg lag, wurde geschlossen, und auch die Universität musste ihren Betrieb einstellen.

          Hat die Geschichte den Zionisten recht gegeben?

          Am Tag nach der Staatsgründung begann der Unabhängigkeitskrieg, den Israel fast ein Jahr lang gegen arabische Armeen führen musste, und der Berg Scopus wurde zum strategischen ­Streitobjekt. „Das Krankenhaus und die He­bräische Universität“, bestimmte Yigal Alon, Israels stellvertretender Generalstabschef, „dürfen nicht geräumt werden.“ Ärzte und Gelehrte kämpften um Menschlichkeit und Kultur, die Politiker kämpften um den Berg: Wie ein roter Faden zieht sich diese Trennlinie zwischen zwei Auffassungen durch das Buch.

          Im April 1949 schlossen Israel und Jordanien ein Waffenstillstandsabkommen, das Jerusalem zwischen Juden und Arabern aufteilte und den Berg Scopus zur Enklave machte. Die genaue Bedeutung dieses Begriffes aber blieb strittig. 1950 annektierte Jordanien das Westjordanland, und der Berg lag nun auf seinem Hoheitsgebiet. Aus jor­danischer Sicht waren die Gebäude der Universität und des Krankenhauses nur der Privatbesitz von Menschen und ­Institutionen, die das Gelände einst erworben hatten.

          Für die Israelis dagegen war der Berg ihr nationales Eigentum, das zeitweilig von seinem Mutterland abgeschnitten war. 1967 eroberten sie das gesamte Westjordanland, 1994 schloss König Hussein Frieden mit Israel, und Jordanien verzichtete auf seine territorialen Ansprüche. Jerusalem galt nun als „wiedervereinigt“, und die Universität, die im Westen der Stadt längst einen neuen Campus aufgebaut hatte, kehrte auf den Berg zurück.

          Hat die Geschichte den Zionisten also recht gegeben? Verschiedene Parteien mögen diese Frage verschieden beantworten, aber die Geschichte ist unparteiisch. Sie gibt niemandem „recht“, sie bestätigt nur eine alte Regel: Wo Geist und Macht zusammenstoßen, muss der Geist allzu oft ­weichen.

          Yfaat Weiss: „Niemandsland“. Hader am Berg Scopus. Aus dem Hebräischen von Jan Eike Dunkhase. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2021. 165 S., Abb., geb., 24,– €.

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