Gewaltgeschichte der Sklaverei : Die Spuren der Grausamkeit
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Liegeplan für die größtmögliche Ausnutzung des Platzes eines Sklavenschiffes im 19. Jahrhundert Bild: Picture-Alliance
Am Leitfaden der Sklavenwirtschaft: Iris Därmann bündelt Essays zu einer Geschichte von Gewalt und Widerstand. Dabei folgt sie nicht dem üblichen Täter-Opfer-Schema.
Nur selten kommt es zu dazu, dass eine auf jahrelangen Quellenstudien beruhende wissenschaftliche Abhandlung genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint. Die Unruhen, zu denen es auf den Straßen amerikanischer Großstädte seit der Veröffentlichung der Bilder über den Tod George Floyds durch einen weißen Polizisten gekommen ist, lassen sich nur dann verstehen, wenn man sie vor dem Hintergrund der jahrhundertealten Gewalt- und Widerstandsgeschichte der afroamerikanischen Bevölkerung der Vereinigten Staaten sieht. Sie steht im Zentrum des Buchs der Berliner Kulturwissenschaftlerin Iris Därmann.
Es beginnt mit der Beschreibung der unmenschlichen Bedingungen an Bord der Schiffe, in deren Laderäumen die von Sklavenjägern gefangenen Menschen angekettet und wie Handelswaren gestapelt von Westafrika nach Amerika transportiert wurden. Hatten sie die Überfahrt überlebt, wurden sie auf den Märkten an die Meistbietenden versteigert, nachdem sich die Käufer zuvor durch eine gründliche Inspektion ihrer Körper von der Qualität der „Ware“ überzeugt hatten. Das Schicksal, das sie in den Zuckermühlen und Plantagenbetrieben der amerikanischen Kolonien erwartete, sah nicht viel besser aus. Schon kleinste Verfehlungen wurden mit drakonischen Strafen geahndet: mit Brandmarkungen, körperlichen Verstümmelungen und Auspeitschungen. Endeten sie mit dem Tod, kümmerte sich niemand groß darum.
Minutiöse Schilderung qualvoller Hinrichtungen
Die Reduktion des gewaltsam unterworfenen und versklavten Menschen auf einen zum bloßen Produktionsmittel gewordenen Körper geht auch aus einer Empfehlung Thomas Jeffersons hervor, des Mitverfassers der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Eine Frau, die alle zwei Jahre ein Kind zur Welt brächte, würde doch weit mehr Profit einbringen als der beste Mann auf dem Feld, so schrieb er 1819. Sklavenzucht sollte bald zu einem der wichtigsten Industriezweige des Südens werden.
Diese wie zahlreiche andere Fakten sind aus der umfangreichen Literatur zur Geschichte der Sklaverei zwar bekannt. Doch von den konventionellen Behandlungen des Themas unterscheidet sich Därmanns aus einzelnen Essays bestehendes und mit einem zweihundertseitigen Anmerkungsteil versehenes Buch darin, dass sie nicht dem üblichen Täter-Opfer-Schema folgt. Vielmehr geht es ihr darum, die versklavten Menschen als handelnde Subjekte darzustellen, die jede auch noch so kleine Möglichkeit nutzten, um das despotische Regime ihrer „Besitzer“ zu unterlaufen. So entzogen sich ihm die Frauen, die für das auf Vergewaltigungen beruhende Sklavenzuchtsystem missbraucht wurden, indem sie abtrieben oder ihre Kinder gleich nach der Geburt töteten. Därmann fasst diese und andere Verweigerungspraktiken unter den von ihr kreierten Begriff der Undienlichkeit. Die Skala des „Sich-undienlich-Machens“ reichte von der offenen Revolte und der Flucht über Sabotageakte und Selbstverstümmelungen bis hin zum Selbstmord.