Buch über Chinas Wirtschaft : Was steckt hinter dem Wunder von Shenzhen?
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Die Skyline von Shenzhen, China (Archivbild) Bild: Picture-Alliance
Auf die weltweit am schnellsten gewachsene Stadt ist Chinas Führung besonders stolz: Ein neues Buch sucht die wahren Gründe für den erfolgreichen Aufstieg von Shenzhen.
Knapp hundert Kilometer südwestlich von Peking lässt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping gerade auf der grünen Wiese eine neue Modellstadt bauen. Xiong’an soll ein Schaufenster und Experimentierfeld für seine Politik werden und später einmal mit seinem Namen verknüpft sein so wie Shenzhen mit Deng Xiaoping und der Schanghaier Stadtteil Pudong mit Jiang Zemin. In der offiziellen Parteipropaganda klingt das so: „Schaut nach Shenzhen in den achtziger Jahren, nach Pudong in den neunziger Jahren und nach Xiong’an im 21. Jahrhundert.“ Nicht zufällig hat das für Xiong’an ausgewiesene Gebiet die gleiche Quadratkilometerzahl wie Shenzhen. Jeder, der schon einmal in Xiong’an war, einer Baustelle inmitten von Marschland, wird den Vergleich als ziemlich kühn empfinden. Dass er überhaupt gezogen wird, liegt an einem Missverständnis – an der Vorstellung nämlich, dass Shenzhens Erfolg allein das Ergebnis brillanter zentralstaatlicher Planung gewesen sei und dass diese Erfolgsgeschichte andernorts reproduziert werden könne.
Gegen diesen Mythos wendet sich die Stadtplanerin und Architektin Juan Du in ihrem Buch „The Shenzhen Experiment“. Es ist pünktlich zum vierzigjährigen Bestehen der Sonderwirtschaftszone Shenzhen erschienen, zu dem die gängigen Klischees gerade wieder beschworen werden. Die Führung in Peking und ihre Bewunderer im Ausland führen „Chinas Silicon Valley“ gern als Beleg dafür an, dass das Wirtschaftswunder des Landes ein Verdienst der Kommunistischen Partei und ihres autokratischen Regierungssystems sei. Sie könne durchregieren und müsse sich nicht mit den Befindlichkeiten der lokalen Bevölkerung aufhalten, heißt es gern.
Dagegen schreibt Juan Du: „Shenzhens wichtigster und am häufigsten übersehener Erfolgsfaktor war seine Fähigkeit, motivierte unternehmerische Menschen anzuziehen.“ Davon gab es so viele, dass die Stadt viel schneller wuchs, als die Planer es vorgesehen hatten. Im Jahr 2000 war die Einwohnerzahl sechsmal so groß wie geplant. Ironischerweise wurden sie der Autorin zufolge von einem Image angezogen, das die lokalen Stadtväter geprägt hatten, um Kritik aus der Zentralregierung abzuwehren. In Peking gab es damals eine mächtige Fraktion von Reformgegnern, die in Shenzhen einen kapitalistischen Sündenpfuhl oder gar einen Rückfall in die Konzessionsgebiete der Kolonialzeit sahen.
Ausführlich geht Juan Du auf die Rolle reformorientierter Lokalpolitiker ein, die sich mutig gegen bestehende Konventionen stellten. Yuan Geng zum Beispiel, der Begründer der Shekou-Industriezone, gründete eine Zeitung und ermutigte die Journalisten, Kritik an ihm zu veröffentlichen. Er warb dafür, von ausländischen Geschäftspraktiken zu lernen, und prägte den Slogan „Zeit ist Geld, Effizienz ist Leben“, der das Selbstbild der Shenzhener prägte. Zu damaligen kommunistischen Zeiten kam das einem Sakrileg gleich und brachte Xuan Geng Rücktrittsforderungen ein.