Sklaverei in den USA : Düstere Bilder der amerikanischen Nation
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Erst Sklave, dann Abolitionist und Autor: Frederick Douglass Bild: picture alliance / Glasshouse Im
Die Sklaverei als Ausgangspunkt eines Landes: Aus dem viel debattierten „Projekt 1619“ ist ein Buch geworden. Bietet es tatsächlich „eine neue Geschichte der USA“, wie der Untertitel verheißt?
Das vielleicht größte Hindernis, die Geschichte der Sklaverei in den Vereinigten Staaten angemessen zu unterrichten, schrieb der Historiker David Blight, sei das tiefe Bedürfnis der Amerikaner, die Historie ihres Landes als „Fortschritt“ zu begreifen. Sie sehen sich als ein Volk, dem es immer um die Verbesserung der Menschheit, der Förderung von Freiheit und Gerechtigkeit sowie der Ermöglichung des Strebens nach Glück für alle zu tun war. Und obgleich, fügte Blight hinzu, diese Version der Geschichte durch einige Aspekte wie Einwanderung und Bürgerrechte unterstützt werde, gebe es doch ihre „umfassende, schmutzige Unterseite“.
Blight formulierte diese Ansichten in seinem Vorwort zu einer vor knapp fünf Jahren erschienenen, umfassenden Studie des Southern Poverty Law Centers, die etwa herausfand, dass lediglich acht Prozent der Absolventen amerikanischer High Schools Sklaverei als entscheidenden Auslöser des Bürgerkriegs nennen konnten. Weniger als ein Drittel wusste, dass zu ihrer Abschaffung eine Verfassungsänderung notwendig gewesen war. Und der großen Mehrheit der Schüler war weder bekannt, dass der berühmte Abolitionist Frederick Douglass selbst einmal ein Sklavendasein fristen musste, noch wussten sie die „Middle Passage“ genauer zu definieren, jene für rund dreizehn Millionen versklavte Afrikanerinnen und Afrikaner traumatische Überfahrt über den Atlantik in die Amerikas.
Geburtststunde der Widersprüche
Die Sklaverei und ihr langer Schatten, diese „schmutzige Unterseite“ der Fortschrittsgeschichte der Vereinigten Staaten, ist in der Fachwissenschaft bereits sehr intensiv und differenziert erforscht worden. Doch fällt es ihr bis heute schwer, in das allgemeine Verständnis von amerikanischer Geschichte vorzudringen, welches sich nach wie vor stark dem Mythos der „Gründerväter“ als unantastbaren Helden und der Gründung der Nation als gleichsam göttlichem Akt verschrieben hat. Diese Lücke zwischen der akademischen Debatte und den in der breiten Öffentlichkeit vorherrschenden Bildern bildete für die Journalistin Nikole Hannah-Jones ein wichtiges Motiv, zusammen mit weiteren Autorinnen und Autoren der New York Times (NYT) das „1619 Projekt“ zu lancieren.
Dieses Vorhaben sollte unter anderem dazu dienen, das Verständnis der nordamerikanischen Geschichte neu auszurichten, indem es 1619 und damit die Sklaverei als Ausgangspunkt des Landes benannte, als Geburtsstunde der Widersprüche, die es bis heute prägen. Den Auftakt machte eine Sonderausgabe des Magazins der NYT im August 2019, genau vierhundert Jahre nach der Ankunft der ersten als Sklaven verschleppten Afrikaner in der damaligen britischen Kolonie Virginia. Es folgten multimedial aufbereitete Online-Artikel und Kurse, speziell auch zur Verwendung im Geschichtsunterricht, eine Podcast-Serie und schließlich ein umfassendes Buch, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.