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: Übungen in Demut

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Die klassische arabische Literatur kennt seit mehr als tausend Jahren die Gattung der "rihla", des Reiseberichts. Zu der Zeit, da die islamische Kultur ihre höchste Blüte erreichte, brachte sie auch große Reisende hervor, die ihre teilweise abenteuerlichen Erlebnisse lebendig schilderten, etwa Ibn ...

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          Die klassische arabische Literatur kennt seit mehr als tausend Jahren die Gattung der "rihla", des Reiseberichts. Zu der Zeit, da die islamische Kultur ihre höchste Blüte erreichte, brachte sie auch große Reisende hervor, die ihre teilweise abenteuerlichen Erlebnisse lebendig schilderten, etwa Ibn Fadhlan, der in seiner "rihla" unter anderem über die türkischen Völker Westsibiriens und des Wolgaraums schrieb, oder später Ibn Battuta, der Marco Polo des Islams, der in Tanger aufbrach und bis nach Indien vordrang. Diesen weltlichen Reisebüchern standen jene zur Seite, die ausdrücklich die Wallfahrt nach Mekka und den Weg dorthin beschrieben; die Hadsch war ein wichtiges Stimulans für die Reiseschriftsteller. Die berühmteste "rihla" in diesem Kontext ist Ibn Dschubairs "Tagebuch eines Mekkapilgers".

          Einige Schilderungen der Wallfahrt und der heiligen Städte Mekka und Medina gibt es auch aus der Feder von Europäern. Autoren wie Richard Francis Burton oder Johann Ludwig Burckhardt mußten Mimikry üben, um dieses für sie lebensgefährliche Unternehmen durchzustehen. Bis heute ist Nichtmuslimen der Aufenthalt dort nicht gestattet. In dem Bändchen "Zu den heiligen Quellen des Islam - Als Pilger nach Mekka und Medina" legt ein Europäer, der jedoch auch authentischer Muslim ist, nun eine moderne "rihla" vor.

          Ilija Trojanow, 1965 in Bulgarien geboren, erhielt in Deutschland Asyl, ging dann nach Indien und bereitete sich unter indischen Glaubensbrüdern auf die Hadsch vor, die er im Jahre 2003 absolvierte. Seine "rihla" sieht die Pilgerfahrt äußerlich mit den Augen des Westens, innerlich aber mit dem Herzen des Muslims. "Kein Pilger wird jemals den Anblick der Kaaba vergessen", faßt Trojanow seine inneren Erlebnisse zusammen: Sie ist jener Ort, der für die Sichtbarmachung des Monotheismus steht, wie ihn die Muslime in all seiner Nüchternheit und Radikalität definieren. Für sie ist dieser "Würfel aus Stein" nicht mehr und nicht weniger als der Nabel der Welt - spirituell verstanden. Detailliert beschreibt Trojanow die seit vielen Jahrhunderten vorgeschriebenen Riten, dazwischen immer wieder den Alltag der Mekkapilger in den Quartieren oder in der Umgebung der Großen Moschee (F.A.Z. vom 8. April 2003).

          Zwar ist Nichtmuslimen der Aufenthalt verwehrt, doch neben den Pilgerstätten gibt es längst ein Hilton-Hotel, und McDonald's ist auch schon lange da. Die Bewohner Mekkas sind eine Spezies Mensch für sich, irgendwo fromm und gottesfürchtig, doch seit Jahrhunderten auch darin geübt, die Pilger "zu betreuen". Mit anderen Worten: Die Stadt lebt davon. Die saudischen Gastgeber der Hadsch sieht Trojanow zwiespältig. Ihre engherzige Auslegung des Korans und der Tradition kann ihm, dem in Europa geborenen Muslim, alles andere als recht sein; doch er achtet und schätzt die Art und Weise, in der Saudi-Arabien das nicht eben einfache Unternehmen der Pilgerfahrt Jahr für Jahr organisiert.

          "Wir waren gelassen, aber um uns herum hob ein irres Hupen an, das sich für eine lange Weile nicht beruhigte", schreibt Trojanow, damit vermittelnd, daß Mekka natürlich, wie auch Medina, das der Autor anschließend besuchte, eine moderne Großstadt geworden ist und nichts mehr gemein hat mit jenem Ort, den noch Burton und Burckhardt erlebten. Das Gedränge etwa, wenn man den Teufel symbolisch zu steinigen hat, ist lebensgefährlich. Ist da Spiritualität überhaupt noch erfahrbar, erlebbar? Dem westlichen Autor und Muslim Trojanow widerfährt, was bisher noch jedem Pilger in Mekka widerfahren ist: Er wird Teil der Einzigartigkeit dieses heiligen Ortes einer Weltreligion, die sich noch immer den Luxus erlaubt, in einer Zeit des Massentourismus und des Rechts auf freien Zutritt zu jedem Ort der Welt eine Tabu-Zone zu proklamieren, wo man unter sich ist.

          Die Pilgerfahrt ist, was die Reisemöglichkeiten angeht, heute viel einfacher als früher, wo man monatelang unterwegs war und oftmals von räuberischen Beduinenbanden überfallen wurde. Doch sind die Umstände heute viel schwieriger, die Bürokratie, die Sicherheitsmaßnahmen flächendeckender, der Aufwand viel größer. Im Grunde ist die Pilgerfahrt eine Tortur.

          Doch das Universelle der islamischen Botschaft, daß ein Gott für alle da ist, der Solidarität mit allen fordert, wird nirgendwo so manifest wie in Mekka, wo sich auf kleinstem Raum Muslime aus Arabien, der Türkei, Europa, Amerika, Indonesien, Iran oder Zentralasien begegnen, Staatspräsidenten und Generaldirektoren Seite an Seite mit Reisbauern aus Bangladesh oder ägyptischen Schuhputzern beten. "Gelegentlich sollte der Mensch sich in Bescheidenheit und Demut üben, einmal im Jahr wenigstens. Er sollte sich der Segnungen bewußt werden, die er im Leben genießt, den Mangel verspüren, den andere leiden, und sein Herz öffnen, indem er seinen Magen zuschnürt", schreibt Trojanow über sein Fasten, das er vor der Pilgerfahrt im Ramadan mit seinen Freunden einübte.

          Ähnlich wie das Fasten genießt auch die Pilgerfahrt bis heute eine ungebrochene Popularität, selbst unter Muslimen, die manches nicht mehr so genau nehmen. Vor allem die Pilgerfahrt erscheint als einmaliges Erlebnis gemeinschaftlichen und solidarischen Zusammengehörens unter dem Anruf des einen Gottes, mag es damit im Alltag oft auch schlecht bestellt sein.

          WOLFGANG GÜNTER LERCH.

          Ilija Trojanow: "Zu den heiligen Quellen des Islam". Als Pilger nach Mekka und Medina. Malik Verlag, München 2004. 173 S., geb., 16,90 [Euro].

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