Thomas Nagel: Geist und Kosmos : Da schlug die Natur die Augen auf
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Bei der Welt sind wir doch schon immer: Thomas Nagel entwirft eine Metaphysik, die für alte Einsichten mit klaren Argumenten wirbt.
Thomas Nagel gilt zu Recht als einer der wichtigsten Philosophen unserer Zeit. In seinen Texten hat er einen amerikanischen Existentialismus begründet: Dass wir uns in einem Universum vorfinden und uns wundern, wer wir in diesem großen Ganzen überhaupt sind, wird man nicht los. Wir sind immer irgendjemand, dem irgendwie zumute ist, was man nicht an objektivierende Einstellungen „outsourcen“ kann. Subjekt sein bleibt unvertretbar real.
Nagel biedert sich niemals an die jeweils herrschende angebliche Leitwissenschaft an, aber er besteht auch nicht grundlos auf dem Eigenrecht des Geistes gegen die modernen Versuche, ihn in Physik oder Neurochemie zu übersetzen. Sein neues Buch ist eine gewagte Summe seines Denkens. Zum ersten Mal gibt er den Gedanken auf, der Geist stünde einem an sich geistlosen, rein materiellen Universum gegenüber, in dem er eigentlich keinen Platz findet. Er bescheidet sich nicht mit der These, unsere Illusion von Werten und Gedanken sei halb-real und nur mühsam in das naturwissenschaftliche Weltbild hinüberzuretten, sondern stellt dieses grundsätzlich in Frage.
Einsichten des Idealismus
Nagel behauptet nichts Geringeres, als dass eine Form des „objektiven Idealismus“ wahr ist, ja, dass wir sogar Schelling und Hegel neben Platon und Aristoteles ins Boot holen müssen, wenn wir den Geist wirklich verstehen wollen. Dies ist keine Sehnsucht nach alter Welt, sondern dahinter steckt ein gutes Argument, das den roten Faden des Buches ausmacht. Vereinfacht lautet es: Wenn wir den Geist erklären wollen, müssen wir voraussetzen, dass die Wirklichkeit verständlich ist. Dies gilt für jede Erklärung, da man ja nicht annehmen kann, dass dasjenige, was man erklärt, für immer unverständlich bleiben wird. Das bedeutet aber: „Die Intelligibilität (für uns), die Wissenschaft erst möglich macht, gehört zu den Dingen, die erklärungsbedürftig sind.“
Mit seinem Buch liefert Nagel die Grundlagen für eine neue Metaphysik, die zeigt, wie wir Bewusstsein, Wissen, Wahrheit und Werte realistisch interpretieren können, das heißt als etwas, das eine eigenständige Realität hat, die sich nicht auf irgendeine materialistische Weise reduzieren lässt. Die Naturwissenschaften ersetzen die Geisteswissenschaften nicht. Nagel geht aber noch weiter. Denn er besteht darauf, dass wir sogar anerkennen sollten, dass „das Universum allmählich erwacht und sich seiner selbst bewusst wird“.
Diese These ist nicht neu, wir kennen sie aus dem Deutschen Idealismus. Das Neue des Buches besteht in der Kombination dieser Einsichten mit Argumenten, die zeigen, dass wir Tatsachen zu erkennen vermögen, die objektiv bestehen, gerade weil die Wirklichkeit schon an sich verständlich ist. Dies heißt für Nagel auch, dass wir die Frage der Philosophie des Geistes neu stellen müssen. Sie laute nun: „wie wir die Natur als ein System verstehen können, das fähig ist, Geist zu erzeugen“.
Objektivität ist keine evolutionäre Bewährung
Nagels Entwurf gehört zum aktuellen philosophischen, einen Neuen Realismus zu prägen, das heißt die Annahme aufzugeben, unser Denken sei in sich (oder ins Gehirn) eingeschlossen und die Außenwelt sei ein letztlich unverständliches wirres Elementarteilchengetöse, das uns auffrisst. Was Nagel originell erklärt, ist „die Fähigkeit unseres Denkens, die Subjektivität zu übersteigen und zu entdecken, was objektiv der Fall ist“, und zwar auch im Bereich der Werte. Wert und Wahrheit kommen nicht aus unserer evolutionären Vorgeschichte, weshalb sie sich auch nicht in Primatenstudien begründen lassen.
Das Buch präsentiert Nagels Entwurf auf verständliche und klare Weise. Mein Einwand lautet allerdings, dass Nagel die Ausdrücke „Kosmos“, „Welt“, „Universum als Ganzes“, „Natur als Ganzes“, „Realität“ und „Welt als Ganzes“ undefiniert verwendet. Hier würde ich mit ihm ins Gericht gehen und fragen, ob wir wirklich an unserem Naturbegriff schrauben müssen oder ob wir nicht eine rein materielle Natur annehmen können, neben der es unzählige andere Bereiche gibt. Nagel weist das zurück, bleibt aber eine Erklärung seiner Neigung zum Monismus schuldig. Hier besteht noch Diskussionsbedarf. Aber die Philosophie hat auch erst vor kurzem mit einem neuen Optimismus eingesetzt und übernimmt endlich wieder ihre Verantwortung, auf der Höhe der Zeit fehlbare, aber angemessene Theorien zu entwickeln. Philosophie ist eben auch eine Wissenschaft (unter anderem vom Geist).
Geist ist kein Akzidens
Nagels Buch leistet dazu einen wegweisenden Beitrag. Bleibt zu hoffen, dass man dieses Buch hierzulande besser als in den Vereinigten Staaten verstehen wird, da wir noch das angemessene Wort einer Geisteswissenschaft haben, die weiß, dass Wert und Wahrheit im Zentrum der menschlichen Lebensform stehen. „Geist und Kosmos“ trägt dem Rechnung, ohne eine übernatürliche Geisteskraft zu postulieren - was Nagel als „neutralen Monismus“ einführt: Geist und Bewusstsein gehören nicht deswegen zur Natur, weil sie aus Elementarteilchen bestehen, und Werte haben wir nicht, weil wir sie evolutionär eingeübt haben. Vielmehr müssen wir anerkennen, dass die menschliche Realität mitsamt der fragilen Natur des Geistes, der sich immer wieder in seinen Selbstbildern neu erfindet, eine erfreuliche Möglichkeit des Universums ist, in dem wir leben.