Lebensraum Wald : Ökosystem in Bedrängnis
- -Aktualisiert am
Das Wood Wide Web des Nationalparks Bayerischer Wald: Im Höllbachgspreng wachsen nicht nur Bergahorn, Gemeine Fichte oder Rotbuche, sondern auch seltene Pflanzen wie Siebenstern und Sonnentau. Bild: picture alliance / imageBROKER
Ist Konkurrenz wirklich immer das leitende Prinzip der Evolution? Suzanne Simard spürt den Bindungen der Bäume nach, Josef Reichholf nimmt deren Lebensgemeinschaft nüchterner ins Visier.
Dass mehrere amerikanische Produktionsfirmen um die Rechte am Buch einer Waldökologin konkurrierten, die auf die Symbiose zwischen Bäumen und Mykorrhizapilzen spezialisiert ist, überrascht nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten stecken in Suzanne Simards Leben und Forschung alle Zutaten einer Geschichte, wie sie Hollywood am liebsten erzählt: die lebensverändernde Erkenntnis der Heldin, die daraus folgende Mission, der Kampf gegen Widerstände – und eine zeitgemäße, wohlige Botschaft: Ein Wald ist mehr als viele Bäume, er ist eine Gemeinschaft füreinander sorgender Lebewesen, er ist wie wir. Dies verkündet die an der University of British Columbia lehrende Professorin, von ihren Wissenschaftskollegen nicht immer wohlwollend begleitet, in Interviews, millionenfach angeklickten TED-Talks und nun auch in „Die Weisheit der Wälder“.
Die Drehbuchtauglichkeit des Buchs ist dessen Stärke und Schwäche zugleich. Suzanne Simard verbindet darin Lebenserinnerungen und Forschungserkenntnis, was immer wieder zu einer eher plumpen Dramaturgie führt. Der Heureka-Moment etwa, in dem ihr als junger Mitarbeiterin eines Forstunternehmens klar wird, dass es eine Symbiose zwischen Pilzen und Bäumen gibt und auch deshalb die von ihr betreuten Setzlinge auf einer – dieses Netzwerkes beraubten – Kahlschlagfläche nicht gedeihen, folgt auf die allzu ausführliche Beschreibung eines Bullenreitens, an dem ihr Bruder teilnimmt.
Gleichzeitig ist das Buch gerade wegen des szenischen Aufbaus Wissenschaftskommunikation von seltener Anschaulichkeit. Die präzise Beschreibung etwa des Versuchs, der bewies, dass Birken und Douglasien über ihre Wurzeln Kohlenstoff austauschen, wäre weniger eindringlich, hätte Simard ihn nicht als die schweißtreibende und riskante Aktion geschildert, die er war: An einem heißen Julitag stülpte sie vierzig Stoffzelte über junge Bäume und injizierte später, in einen Schutzanzug gehüllt, radioaktive Kohlenstoff-Isotope, um herauszufinden, ob die verminderte Photosynthese der einen Bäume durch unterirdische Nährstoffzufuhr der anderen ausgeglichen würde (was tatsächlich geschah).
Reflektierter als der Förster Peter Wohlleben
Episoden wie die, dass Simard auf einer Konferenz von einem Forstwissenschaftler für viele hörbar mit „Miss Birch“, Frau Birke, angesprochen wird, was stark nach „Bitch“, Zicke, klingt, offenbaren, dass einer unorthodoxe Thesen vertretenden Frau im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb nicht nur mit Argumenten begegnet wird. Und schließlich macht die autobiographische Erzählung von der Herausforderung, mit gleicher Leidenschaft Mutter und Wissenschaftlerin zu sein, von einer scheiternden Ehe, von Freundschaften, die während einer Krebserkrankung Kraft gaben, das Thema Beziehungen, Bindungen zum übergreifenden Motiv – und rückt die unterirdischen Netzwerke aus Baumwurzeln und Pilzen nah heran an menschliches Miteinander.
Simard weiß, dass sie sich damit auf eine riskante Bahn begibt. Sie tut dies reflektierter als der Förster und Autor Peter Wohlleben, dessen erfolgreiche und unbekümmert vermenschlichende Baumprosa sich aus Simards Forschung speist. Die von ihr betriebene Anthropomorphisierung ist ein Tribut an das Anliegen, den Blick auf Bäume, auf die Natur zu verändern: sie zu dem faszinierenden Anderen werden zu lassen, das zugleich so anders gar nicht ist, weil alles Leben von der Natur hervorgebracht wurde und auf vergleichbaren Gesetzmäßigkeiten beruht.
Ein fürsorgliches Gemeinwesen
Zwar reproduziert die Rede von alten, besonders gut vernetzten „Mutterbäumen“, die „die Kleinen hegen“, den anthropozentrischen Blick, der seit der Aufklärung die Entfremdung von der Natur vorangetrieben hat. Doch können wir die uns umgebende Welt eben auch nicht anders interpretieren als im Abgleich mit unserer begrenzten menschlichen Perspektive. Was dem Menschen vertraut ist, das schätzt und schützt er eher, darauf setzt Suzanne Simard und ist bemüht, den schmalen Grat zwischen Veranschaulichung und Verfälschung nicht zu überschreiten.