Steven T. Wax: Kafka in Amerika : Justiz, der ein Verdacht genügt
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Ein falscher Fingerabdruck
Denn sein Vorwurf an die Adresse der Vereinigten Staaten lautet, dass solches Vorgehen dreifach Standards verletzt: moralisch, rechtsstaatlich, kriminaltechnisch. Seine Mandanten passen fatalerweise in diskriminierende Muster einer präventiven Verdachtslogik. Unter den neu eingeführten Gesetzen werden sie ihrer rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten beraubt. Und außerdem arbeiten die Ermittler schlampig, wollen aber handwerkliche Fehler nicht zugeben. Erst recht zeitigt die Verquickung aller drei Muster fatale Folgen für ihre Opfer.
So gerät Mayfield in ihr Visier, weil das FBI eine Übereinstimmung seines Fingerabdrucks mit jenem latenten Fingerabdruck Nr. 17 mutmaßt, den man nach den Attentaten in Madrid auf einer blauen Plastiktüte am Tatort gefunden hat. Während die spanische Kriminaltechnik schließlich die Identität verneint und die fehlerhafte Identifizierung zugibt, hält das FBI stur daran fest. Als Mayfield schließlich freigelassen wird, ist sein Reputationsschaden längst eingetreten, denn Washington streute parallel zur Verhaftung gezielt Informationen in die Medien, es handele sich bei ihm um ein Mitglied eines Terrornetzwerks.
Youtube als Mittel
Es gehört zu den Paradoxien dieses Berichts, dass parallel zur Entrechtung der Mandanten und zum ihnen zugefügten Unrecht der amerikanische Staat über Jahre ihren Rechtsbeistand Wax für seine Bemühungen honoriert. Seine Arbeit wird zugleich in der Sache massiv behindert und doch überhaupt erst ermöglicht. Amerikanische Gerichte beauftragen ihn mit der Vertretung beider Männer, die Regierung bezahlt diesen Kampf und lässt ihn seine Arbeit tun. Wollen die Regierungsstellen die Pflichtverteidiger moralisch-patriotisch an die Kandare nehmen, wehren sich die Standesorganisationen der Anwälte erfolgreich.
Weil es sich um einen globalen, auch über die Medien ausgetragenen Konflikt handelt, mobilisiert die Verteidigung auch Youtube und stellt Clips ein. „Guantánamo Unclassified“ steht bis heute im Internet, wurde mehr als einhunderttausendmal angesehen. Das hohe Maß an Zustimmung zur Kampagne und die Anerkennung seiner anwaltlichen Arbeit sollte aber nicht vergessen lassen, dass es sich um Spezialfälle von lupenrein unschuldigen Mandanten handelt. Wax wirbt beim Leser nachdrücklich dafür, auch anderen Verdächtigen nicht jene Rechte abzuerkennen, die man Mayfield und Hamad sofort zubilligt.
Denn was die Vernehmer und ihre Spießgesellen in Guantánamo und andernorts mit den Eingesperrten machen, ist unmenschlich und rechtswidrig. Es kann daher nicht um die Frage gehen, ob es sich um zu Recht oder zu Unrecht Verdächtigte handelt. Folter und andere Methoden von Unrechtsstaaten sind zu ächten, Verletzungen der Grund- und Menschenrechte zu beenden, die Taten aufzuklären (statt zu vertuschen), ihre Opfer voll zu rehabilitieren und zu entschädigen. Im Fall Guantánamo und den anderen Wechselfällen im Krieg gegen den Terror ist es immer noch nicht soweit.