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Biographie von Kurt Gödel : Das Kontinuum schlägt zurück

Kollegen am Institute for Advanced Study in Princeton: Kurt Gödel und Albert Einstein im Jahr 1950 Bild: AKG

Als die Mathematiker die Grenzen der Beweisbarkeit einsehen mussten: Stephen Budiansky führt durch Leben und Werk des Logikers Kurt Gödel.

          5 Min.

          Anfang Dezember 1947 erschien vor Phillip Forman, Richter am US District Court in Trenton, New Jersey, ein hagerer Mann Anfang vierzig, um den Einbürgerungstest zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft abzulegen. Sieben Jahre und elf Monate zuvor war er buchstäblich mit dem letzten Zug aus dem Hitlerreich entkommen, über die Sowjetunion und den Pazifik nach Amerika geflohen und arbeitete jetzt am Institute for Advanced Study in Princeton. Woher er stamme, fragte ihn der Richter. „Aus Österreich“, antwortete er, woraufhin Forman von ihm wissen wollte, welche Regierungsform es dort gegeben habe. „Es war eine Republik, aber die Verfassung war dergestalt, dass sich das Land letztendlich in eine Diktatur verwandelte.“ Das sei ganz schlimm, meinte Richter Forman, so etwas könne hier in den Vereinigten Staaten ja nie passieren. „O doch“, erwiderte daraufhin der Einbürgerungskandidat: „Ich kann es beweisen.“

          Ulf von Rauchhaupt
          Redakteur im Ressort „Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Kurt Gödel wurde trotzdem Amerikaner. Der Richter überging seine Behauptung taktvoll, was wohl auch mit den beiden Freunden und Institutskollegen zu tun hatte, die Gödel damals nach Trenton begleiteten. Der eine war der Ökonom Oskar Morgenstern und der andere Albert Einstein, der Forman von seinem eigenen Einbürgerungsverfahren einige Jahre zuvor kannte. Einstein und Gödel waren zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Gemeinsam aber war ihnen – neben der hohen Wertschätzung füreinander – die Tatsache, dass ihnen die beiden wohl bedeutendsten wissenschaftlichen Einzelleistungen des zwanzigsten Jahrhunderts gelungen waren: Einstein vollendete 1915 die allgemeine Relativitätstheorie, die Raum und Zeit selbst als Gegenstand raumzeitlicher Veränderungen aufzufassen erlaubt. Und Gödel bewies 1931 die Existenz unbeweisbarer, aber gleichwohl wahrer – also unwiderlegbarer – mathematischer Sätze, indem er Aussagen über mathematische Sätze selbst als mathematische Sätze formulierte.

          Wie war Gödel als Mensch?

          Mit ihren selbstreferenziellen Einsichten hatten Einstein und Gödel die wissenschaftlichen Weltbilder ihrer jeweiligen Disziplinen nachhaltig erschüttert. Doch während Einstein früh zur Kultfigur wurde, blieb Gödel bis zu seinem Tod im Januar 1978 jenseits der Fachkreise weitgehend unbekannt. Und so füllen Einstein-Biographien heute ganze Regale, über Gödel hingegen gibt es zwar ein 1996 erschienenes Standardwerk des amerikanischen Mathematikers John Dawson, der Zugang zu Gödels Nachlass in Princeton hatte, doch von der vollständigen Edition seiner in Gabelsberger-Kurzschrift abgefassten philosophischen Notizbücher durch die Philosophieprofessorin Eva-Maria Engelen ist der erste Band erst Ende 2019 erschienen (F.A.Z. vom 11. Juni 2021). Auch deswegen steht eine umfassende wissenschaftshistorischen Ansprüchen genügende Biographie Kurt Gödels bis heute aus.

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