Shereen El Feki: Sex und die Zitadelle : Der politischen Revolution ist keine sexuelle gefolgt
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Bild: Hanser Berlin
Die Angst vor der Selbstbestimmung verstehen lernen: Shereen El Feki erforscht das Liebesleben der arabischen Welt - und findet Sexismus im Alltag.
Es fehlen schon allein die Worte. Wie heißen Oralverkehr, Penis und Orgasmus in stubenreinem Arabisch? Die Autorin Shereen El Feki weiß es, aber damit ist sie eine der wenigen und leistet mit ihrem Buch „Sex und die Zitadelle“ Pionierarbeit. Sexgespräche sind in der arabischen Welt etwas für Ärzte und Wissenschaftler oder für Angeber auf der Straße, die sich im Porno-Slang unterhalten. Freimütiges Geplapper wie in der amerikanischen Fernsehserie „Sex and the City“ ist am Nil nicht salonfähig. Früher war das anders; da wurden in alten Kairoer Stadtvierteln - wie dem um die Zitadelle - Bücher gelesen wie „Die Sprache des Fickens“ von Ibn Al Qatta’, in dem an die eintausend Verben für Geschlechtsverkehr aufgelistet sind.
Die studierte Immunologin und Journalistin Shereen El Feki hat Frauen und Männer getroffen, die für Aufklärung, Beratung, Selbstbestimmung und erotische Lebensfreude in der arabischen Welt streiten, also für besseren Sex. Darunter sind eine Frau, die gegen den Willen der Eltern ihren Traummann geheiratet hat, eine libertäre libanesische Publizistin, Sexualerzieherinnen an Schulen und Streetworkerinnen, die in Tunis Prostituierte beraten. Die Sextherapeutin und Fernsehmoderatorin Heba Kotb kommt ebenso zu Wort wie der Psychiater Awsam Wasfy, der Homosexualität für eine heilbare Störung hält und daher Reorientierungstherapien für Schwule anbietet. Erschütternd, erhellend und manchmal auch entzückend sind diese Berichte aus dem arabischen Alltag. Die meisten Beispiele kommen aus Ägypten, einem Land, in dem immer noch die Mehrheit der Frauen beschnitten ist und die Jungfräulichkeit als heilig gilt, wie El Feki aus persönlicher Perspektive und doch mit angemessener Sachlichkeit schildert.
Das Kopftuch gegen Belästigungen
Die Autorin ist in Kanada als Tochter ägyptisch-britischer Eltern aufgewachsen. Sie bringt einen westlichen,weiblichen Blick auf Ägypten und den Sex mit, den sie gar nicht erst zu objektivieren versucht, sondern bewusst einsetzt, um Einzelfälle darzustellen und Besonderheiten zu erkennen. Echte Menschen, aufrichtige Gefühle und wahre Geschichten setzt sie so zu einer kaleidoskopischen Betrachtung zusammen, die nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Studie erhebt.
Was sie nicht übersieht, aber leider nur streift, ist das, was fast jede Ägypten-Reisende erlebt und was für ägyptische Frauen Alltag ist: aufdringliche Anmache und Belästigungen. Jede Busfahrt birgt Risiken. Kairos Tahrir-Platz, bis vor kurzem noch Ort der Freiheit, der Proteste und des Aufbruchs, ist für Frauen unsicheres Terrain geworden; Medien berichten von Massenvergewaltigungen. Auch deshalb entscheiden sich einige ägyptische Frauen jetzt für dezente Kleidung und Kopftuch - um sich in der Demutsgeste ein wenig gegen diese augenfälligste Form des Alltags-Sexismus zu schützen.
Kondome und der Zorn Gottes
Der als „arabischer Frühling“ bekannte Umsturz in Ägypten hat den Bürgern wenig Frühlingsgefühle beschert, der politischen Revolution ist keine sexuelle gefolgt, stellt die Autorin fest. Eine echte Demokratie und wahre Freiheit könnten in der arabischen Welt nur entstehen, wenn es im Privaten gleichberechtigte Beziehungen und sexuelle Rechte gebe, so ihre These. Freier Umgang mit der eigenen Sexualität sollte ein Menschenrecht sein, findet sie, aber in Ägypten kann schon der Kauf von Kondomen zum Spießrutenlauf werden.
Wer Kondome benutzt, hat außerehelichen Sex, so die Generalvermutung, und dieser ist nicht nur unerwünscht, sondern „haram“, nach islamischem Recht verboten. Es bedeutet auch tabu und sündhaft, es verheißt den Zorn Gottes und die soziale Ächtung. Das Wort Harem, der verbotene Ort des Hauses, den nur Frauen und der Hausherr betreten dürfen, ist mit „haram“ verwandt. Der Harem voller williger Frauen war ohnehin eine schwüle Vorstellung des Westens von orientalischer Sinnlichkeit, der Harem als Lebensform ist aus dem modernen Ägypten verschwunden. „Haram!“ aber hat sich zu einem gesellschaftlichen Imperativ entwickelt, der dieselbe Furcht verbreitet wie einst die Schergen der gestürzten Regime.
Wenn die Worte fehlen
Doch wie sollen sich die Menschen vom Terror des Wortes „haram“ befreien, wenn ihnen die Worte fehlen, in der eigenen Sprache angemessen über Sex zu sprechen? Indem man, wie Shereen El Feki, Klartext spricht: Oralverkehr heißt „jins fammii“ (“Mundsex“), der Penis „qadhiib“ oder „zebb“ und der Orgasmus „nashwa jinsiyya“ (“sexuelle Ekxstase“). Schade nur, dass es noch keine arabische Ausgabe des Buches gibt.