Sachbuch : Provokateur
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Rächer der kleinen Leute - Michael Moore in seinem Film „Bowling for Columbine” Bild: dpa
Die Presse feiert Moore als Rächer der kleinen Leute in Amerika und als einen der hartnäckigsten Kritiker des Großkapitals. Da mutet es seltsam an, daß nun der Filmemacher selbst sich in den Fangstricken der Globalisierung zu verheddern scheint.
Sollte Michael Moore jemals ein Buch über das Geheimnis seines Erfolgs publizieren, müßte er auf jede Seite einfach nur ein Wort drucken: Provokation. Zweifellos würde es ein Bestseller, wie es "Stupid White Men" bereits ist, seine höhnische Studie über die Vereinigten Staaten, mit der dieser Filmregisseur seit Wochen die deutschen Bestsellerlisten anführt. Der hiesige Erfolg entspricht dem der Originalausgabe, deren erste Auflage der Verlag nach dem 11. September am liebsten hätte einstampfen lassen. Schließlich hören Amerikaner ungern unangenehme Tatsachen über sich (und deren gibt es einige in Moores Buch). Doch dann wurde seine Philippika zum erfolgreichsten Sachbuch des Jahres 2002 und setzte ihren Siegeszug auf der anderen Seite des Atlantiks fort. Deutsche hören ja gern übertriebene Kritik an den Vereinigten Staaten (und auch davon gibt es einige in Moores Buch).

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Natürlich reüssiert der 1954 in Flint, Michigan geborene Moore auch noch auf seinem alten Feld, dem Dokumentarfilm. Sein bislang letztes Werk, "Bowling for Columbine", das auch schon in Cannes ausgezeichnet worden war, erhielt unlängst den französischen Filmpreis César für den besten ausländischen Film und dann in der vergangenen Woche den Preis der Writers Guild of America, der amerikanischen Schriftstellergewerkschaft, für das beste Drehbuch. Das ist eine ungewöhnliche Auszeichnung für eine Dokumentation, die aber Moores Verfahren Rechnung trägt, den Gegenstand seiner Beobachtungen seit seinem Debüt "Roger and Me" (1989) so intensiv zu provozieren, wie es nur geht. Dadurch lockt er die Waffenlobby oder den Schuhfabrikanten Nike gezielt aus der Reserve. Für den Oscar ist "Bowling for Columbine" am kommenden Sonntag selbstverständlich auch nominiert.
Schreckliche Wahrheit
Die Presse feiert Moore als Rächer der kleinen Leute in Amerika und als einen der hartnäckigsten Kritiker des Großkapitals. Da mutet es seltsam an, daß nun der Filmemacher selbst sich in den Fangstricken der Globalisierung zu verheddern scheint. Just zu dem Zeitpunkt, als die Writers Guild ihn ehren wollte, lag er gerade im Clinch mit der Gewerkschaft, weshalb die Preisverleihung ohne ihn stattfinden mußte. Denn Moore wartet angeblich zusammen mit fünf anderen Autoren seit vier Jahren auf Honorare für die Mitarbeit an der englischen Fernsehsendung "The Awful Truth".
Als guter Linker ist Moore natürlich selbst Mitglied der Writers Guild, doch sie war ihm beim Inkasso keine Hilfe. Mit dem Boykott der Preisverleihung wurde die Writers Guild brüskiert. Nun beklagt die sich, daß Moore selbst es sei, der sich das Geld schulde - eine schöne Pointe aus der diversifizierten modernen Marktökonomie. Denn "The Awful Truth" sei seinerzeit von einem Unternehmen produziert worden, dem Moore als Präsident vorstand. Der Regisseur selbst im großen Unterhaltungsgeschäft? Seltsam, wie das Leben so spielt.
Moore bleibt seiner Rolle als Rächer der Enterbten auch dann treu, wenn es ums eigene Portemonnaie geht. Er habe kein Urheberrecht an der Sendung und sei auch als Produzent nur angestellt gewesen. Klar, daß aus dem Einzelkämpfer gegen das Establishment (zur Finanzierung von "Roger and Me" hatte er sein Haus verkauft) kein Unternehmer werden soll. Das wäre ja eine Provokation.