Fotografien von Roger Melis : Illustrationen aus dem Leben eines Paares
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Die „Twen“ bekam in der DDR nicht jeder in die Hand, aber Dorothea Bertram und Roger Melis waren auch nicht irgendein Paar. Für die Modezeitschrift „Sibylle“ waren sie professionell ein Team. In der Freizeit hingegen nahm Melis Privatporträts seiner Frau auf. Bild: Roger Melis / Lehmstedt Verlag
Roger Melis zählte zu den wichtigsten Reportage- und Modefotografen der DDR. Ein Band versammelt nun Porträts, die er über zwei Jahrzehnte von seiner Frau gemacht hat. Die Bilder zeugen von einem ausgeprägten Sinn für strenge Kompositionen.
Thea auf dem Land, Thea in der Stadt und Thea in der Küche beim Spülen des Geschirrs. Thea am Klavier, Thea, wie sie auf dem Sofa ausgestreckt ihren nackten Fuß massiert, und immer wieder Thea mit einer Zigarette in der abgewinkelten Hand. Mit sechzig Bildern, entstanden im Laufe von zwei Jahrzehnten, zeigt der Band „Thea“ eine attraktive, stets selbstsicher wirkende Frau in immer neuen Posen und Situationen. Es sind Bilder aus einem privaten Archiv, aber dort in solch großem Format abgelegt, als seien sie für eine Ausstellung abgezogen worden. Die Ausstellung hat es nie gegeben. Thea ist vor acht Jahren gestorben, der Fotograf der Aufnahmen vor dreizehn. Beide nach schwerer Krankheit, beide viel zu jung.
Manchmal berichten Fotografien von Verehrung und Bewunderung, und manchmal erhofft man sich von ihnen Antworten auf Fragen, die noch gar nicht gestellt sind. Beides erklärt, weshalb Verliebte sich besonders gern fotografieren. Das wird bei Roger Melis nicht anders gewesen sein, als er 1967 Dorothea Bertram kennenlernte. Er war siebenundzwanzig Jahre alt, sie neunundzwanzig. Schon im folgenden Jahr zogen sie zusammen, und weitere zwei Jahre später waren sie verheiratet. Gut möglich, dass man sie da bereits als eine Art Dreamteam der ostdeutschen Modebranche wahrnahm.
Dorothea Bertram hatte sich in ihrer Diplomarbeit an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee kritisch mit der DDR-Modezeitschrift „Sibylle“ auseinandergesetzt, war daraufhin kurzerhand von deren Chefredakteurin Anfang der Sechzigerjahre eingestellt worden, um das Heft zu modernisieren, und stieg später zu dessen Modechefin auf, was zu dem Spitznamen „Anna Wintour“ geführt haben soll.
Mit der Ehrfurcht vor dem Individuum
Roger Melis hatte Mitte der Sechzigerjahre mit seiner Porträtreihe von Schriftstellern und bildenden Künstlern der DDR begonnen, einer Arbeit, die am Ende enzyklopädische Ausmaße annahm. Schon bevor er das erste Bild von Dorethea Bertram machte, konnte er mit Aufnahmen nicht nur von Peter Huchel, Günter Kunert und Rolf Schneider, Peter Hacks, Heiner Müller und Wolf Biermann sowie den Bildhauern Werner Stötzer und Fritz Cremer ein umfassendes Portfolio vorlegen, dessen Blätter heute nicht unerheblich zu unserer Vorstellung dieser Männer beitragen.
Es waren ernste Momente, die er festhielt, verschlossene Gesichter mit nachdenklichem, skeptischem Blick, nicht selten von geradezu staatstragender Schwere – und die Posen mitunter, als seien sie in Stein gemeißelt. Es verbarg sich dahinter eine Auffassung vom Porträt, an der Roger Melis auch weit nach dem Mauerfall noch festhielt. Kaum jemand auf seinen Bildern lächelt. Niemand lacht. Er habe immer Wert darauf gelegt, schrieb Roger Melis bei Gelegenheit, sich den Menschen behutsam zu nähern. Er bediente sich bewusst eines „antiquierten“ Begriffs, wie er es formulierte: „Mit der Ehrfurcht vor dem Individuum.“