Rezension: „Unter den Augen des Preußenadels“ : Die Jungs von der Thetis im Teehaus
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Das Dunkelkammerzelt fehlte nicht, als die Deutschen in Tokio ankamen: Ein Band dokumentiert die preußische Expedition nach Japan vor hundertfünfzig Jahren.
Am Anfang dieses Buches steht eine Abenteuer- und Detektivgeschichte. Es war ein warmer Sommertag im Jahre 2003, als sich der Fotografie-Historiker Sebastian Dobson im Lesesaal der „British Library“ in London durch die Berichte der ersten preußischen Expedition nach Japan in den Jahren 1860 und 1861 quälte. Lange Texte, vereinzelt Lithografien. Dann stieß Dobson plötzlich auf diesen Tagebucheintrag von Friedrich Graf zu Eulenburg, der die Delegation Preußens und des Norddeutschen Bundes leitete: Ob der Schönheit des Landes seien „die Maler außer sich, und auch die Fotografen sind beschäftigt“. Kunstmaler gehörten damals zu Expeditionen in ferne Welten immer dazu, sie dokumentierten mit ihren Bildern die anderen Kulturen. Doch Fotografen? In keinem der Berichte über die Expedition hatte Dobson Fotos gesehen.
Von da an arbeitete Dobson wie ein Detektiv. Im Geheimen Staatsarchiv in Berlin fand er schließlich die ersten Hinweise. 2500 Reichstaler hatte der Finanzminister Eulenburg für die Fotoausrüstung am Ende bewilligt. „Als die Expedition im September 1860 in Edo - wie das heutige Tokio damals hieß - ankam, bestand das Gepäck der Fotografen aus 16 riesigen Seekisten, die 6 Kameras, Linsen verschiedener Größen, ein Dunkelkammerzelt für den Gebrauch im Freien, eine große Menge Chemikalien sowie genug Glasplatten aller Formate enthielten, 2 500 Negative herzustellen“, berichtet Dobson. So gut ausgerüstet war damals kaum eine Expedition. Die amerikanische Expedition des Commodore Matthew Perry, die 1854 auch mit militärischer Gewaltandrohung die Öffnung des vorher über bald dreihundert Jahre lang von der Außenwelt abgeschotteten Landes erzwang, hatte eine einzige Kamera dabei.
Wo waren die Fotos geblieben?
Mindestens tausend Fotos machten die Fotografen der Eulenburg-Expedition, wie Dobson anhand der peniblen Kostenabrechnungen preußischer Bürokraten rekonstruieren konnte. Und doch ließ sich keine einzige dieser Fotografien finden. Dass die Preußen überhaupt Fotografen dabei hatten, verdankte sich dem Zeichner Wilhelm Heine, der schon bei der Perry-Expedition dabei gewesen war. Zur Unterstützung seiner Arbeit sei es notwendig, „in verhältnismäßig kurzer Zeit eine große Anzahl von fotografischen Ansichten aufzunehmen“, schrieb er. Eulenburg setzte sich für dieses Anliegen ein. Nicht, weil er vom Wert der Fotografie überzeugt war, aber er brauchte einen Job für seinen unehelichen Sohn Carl Bismarck. Das Problem dabei: Carl war alles andere als talentiert. Die besten Fotografien verdankt die Expedition den Assistenten, August Sachtler und John Wilson, Letzterer ein Amerikaner, den Heine in Yokohama anwarb.
Doch wo waren die Fotos geblieben? Dobson wühlte sich durch die Aktenberge des Geheimen Staatsarchivs, bis er 2007 endlich fündig wurde. Einem Bericht Eulenburgs nach Berlin war ein dicker Umschlag angeheftet. Sein Inhalt: fünfunddreißig Originalfotografien aus Japan von 1860. Bis heute hat Dobson der Expedition fünfzig Fotos zuordnen können. Zum Beispiel eine Panoramaansicht Nagasakis von 1861 aus dem Museum für Fotografie in Tokio.
Die Fotos selbst waren damals zwar nur Hilfsmittel für die Zeichner der Expedition, Wilhelm Heine und Albert Berg. Doch interessant ist, dass Sachtler damals auch schon Schnappschüsse gelangen, wie etwa eine Gruppe Kadetten des Schiffs „Thetis“ mit japanischen Teehausmädchen. „Ein Beispiel des Anschlusses von Jung-Deutschland an Jung-Nippon“, befand Heine, als er das Foto zur Grundlage einer seiner Zeichnungen nahm.
Fotos und Zeichnungen stehen im Mittelpunkt des Buches von Dobson und dem Historiker Sven Saaler, das die Eulenburg-Expedition dokumentiert. Für Dobson ist die Suche nach den Fotos der Expedition noch nicht vorbei. Die Spur verliert sich 1870 beim Berliner Fotografen Leopold Ahrendts. Der hatte die Negative zur Aufbewahrung erhalten - und fertigte später, wie seine Abrechnungen zeigen, Hunderte von Abzügen an. Als Wilhelm Heine nach dem Tod Ahrendts’ 1871 nach Deutschland zurückkehrte, waren die Negative bereits verschwunden. „Irgendwo muss es noch Fotos geben, viele Fotos sogar“, meint Dobson. Findet er sie, wäre sein Erfolg als Fotohistoriker komplett.