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Rezension: Christoph Goos „Innere Freiheit“ : Zur inneren Freiheit sollten alle finden

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Was hatten die Schöpfer des Grundgesetzes im Sinn, als sie die Würde des Menschen an dessen Anfang stellten? Christoph Goos hat eine überzeugende Rekonstruktion vorgelegt.

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          Was verstanden die Mütter und Väter des Grundgesetzes unter der „Würde des Menschen“, die sie im ersten Grundgesetzartikel an den Anfang der Verfassung stellten? Dafür interessierten sich die späteren Interpreten der Verfassung kaum. Das Bundesverfassungsgericht formulierte bereits 1952, dass maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift der darin „zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (ist), so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist“. Diesen Grundsatz erstreckten die Karlsruher Richter stillschweigend auch auf die Verfassungsinterpretation.

          In der nun sechzig Jahre währenden Deutungskontroverse um den grundgesetzlichen Würdebegriff kam es, wie Matthias Herdegen 2004 im Zuge der Auseinandersetzung um seine umstrittene Neukommentierung des ersten Grundgesetzartikels anmerkte, nicht etwa zu einer Kanonisierung der Schöpfer des Grundgesetzes, sondern einzelner früher Exegeten. Zu interpretativen Vorgaben wurden vor allem die Deutungen des Tübinger Staatsrechtslehrers Günter Dürig, der mit seiner „Objektformel“ dem Gehalt des Artikels 1 Absatz 1 GG „vom Verletzungsvorgang her“ auf die Spur zu kommen versuchte.

          Von Anfang an ein Würdebegriff

          In Rechtsprechung und Literatur sind die Konturen des Würdebegriffs indes unklar und vage geblieben. Sie sei „zum bedeutungslosen Rechtsbegriff geworden“, konstatiert der Bonner Verfassungsrechtler Christoph Goos, der sich gegen alle Traditionen seines Faches auf eine ideengeschichtliche Spurensuche begeben hat, um das „Würdeverständnis“ der Väter und Mütter des Grundgesetzes zu rekonstruieren. Goos zeigt zunächst in einer Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie sich die Interpretation des ersten Absatzes des ersten Grundgesetzartikels im Laufe der Jahre entwickelt hat. Nach dieser Analyse tritt er einen Schritt zurück und wertet die Materialien zum Grundgesetz aus, insbesondere die stenografischen Protokolle des Ausschusses für Grundsatzfragen, die erst 1993 im fünften Band der Edition „Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wurden - und von den Experten weiterhin nur spärlich konsultiert werden.

          Mit seiner Rekonstruktion geht Goos auf Distanz zu Günter Dürig. Dessen Deutungsversuche dürften nicht in den Rang einer „Vorgabe“ erhoben werden, und sie dürften schon gar nicht ungeprüft identifiziert werden mit der Konzeption der Väter und Mütter des Grundgesetzes. Der heutige Artikel 1 Grundgesetz ist das Resultat einer vom Hauptausschuss und vom Plenum des Parlamentarischen Rates, von den alliierten Militärgouverneuren und der Mehrheit der westdeutschen Landtage gebilligten Entscheidung des interfraktionellen Fünfer-Ausschusses. Von Anfang an war der Würdebegriff, der das zu schaffende Verfassungsdokument prägen sollte, in den Beratungen des am 1. September 1948 erstmals zusammengetretenen Parlamentarischen Rates „fraktionenübergreifend präsent“.

          Der erste Satz muss das Ganze decken

          Demokratie sei nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut habe, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben, betonte der von der SPD entsandte Carlo Schmid in der zweiten Sitzung des Plenums am 8. September 1948. Adolf Süsterhenn unterstrich in derselben Sitzung, dass für die CDU die Freiheit und die Würde der menschlichen Persönlichkeit „Höchstwert“ seien, dem der Staat zu dienen habe.

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