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Philip Hoare: Leviathan oder Der Wal : Wer kann sagen, wie sich die Welt einem Wal darbietet?

Bild: Mare Verlag

Der Brite Philip Hoare hat sich der Beantwortung dieser Frage mit Haut und Haar verschrieben. Sein Buch „Leviathan“ ist eine Fundgrube für alle, die nicht von Moby-Dick loskommen.

          4 Min.

          Philip Hoare ist einer jener Autoren, die durch thematische Spannweite auffallen, die nicht immer das gleiche Buch noch einmal schreiben. Wenn er sich in ein Thema verbissen hat, lässt er nicht locker. Der Engländer des Jahrgangs 1958 hat über Oscar Wilde und die Pet Shop Boys geschrieben, Biographien von Noël Coward und Stephen Tennant vorgelegt. Und er hat die Geschichte des riesigen viktorianischen Militärhospitals in Netley nahe Southampton erzählt (“Spike Island“). In der englischen Presse läuft er obendrein mit dem Qualitätsaufkleber herum, W. G. Sebald sei ein großer Fan von ihm gewesen.

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Und das hat mit dem nun auf Deutsch vorliegenden Buch insofern zu tun, als dieses bei seinem Erscheinen vor fünf Jahren mit einem lobenden Zitat des deutsch-englischen Schriftstellers ausgeliefert wurde. Der war allerdings zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Leviathan“ schon sieben Jahre tot. (Mehr dazu unter http://sebald.wordpress.com.) Und prompt jubelte ein Kritiker, das Buch sei ein „Sebaldesker Triumph“.

          Worum geht es? Der in Southampton nah am Wasser geborene Hoare fand erst als Erwachsener den Weg in dieses Element; er lernte spät schwimmen, war lange Zeit voller Urängste und wurde in Träumen von Seemonstern verfolgt. Dann verfiel er Hermann Melvilles Überroman „Moby-Dick; or, The Whale“, danach dem Wal als solchem. Dies geschah an einem für die Geschichte des Walfangs prominenten Ort, an der Spitze von Cape Cod, in Provincetown, Massachusetts. Als der Tourist Hoare beim Walbeobachten erlebt, wie ein 25 Meter langes Tier unter dem Boot hindurch schwimmt, beginnt das Buch: „Diese eine Bewegung untergräbt meinen Stand im Leben.“

          Fünf Jahre später ist aus dem faszinierten Laien ein Experte geworden, der sein Wissen weitergeben will. Das Ergebnis von allem, was er über Wale gelesen, gehört und gesehen hat, ist in dieses stattliche Werk eingegangen, allein der Anhang mit Fußnoten und Register umfasst sechzig Seiten. Zunächst ist „Leviathan“ aber eine Reaktion auf Melvilles Romanungetüm.

          Das gefährliche Leben der Walfänger

          Dessen berühmten ersten Satz - „Nennt mich Ismael“ - charakterisiert Hoare pathetisch als eine „donnernde Brandungswelle“; von diesem Befund ausgehend, lässt er sich durch die Faktenwelt des Romans treiben und erkundet an ihr entlang Spezifika der Gattung sowie die Geschichte des Walfangs, Fangtechniken, Aufstieg und Untergang der Walfängerei. Er folgt Ismael, und er folgt Melvilles Lebensweg bis zu dessen Grab in der Bronx.

          Immer wieder glänzt Hoare mit literarischen Nachstellungen: Seine romanhaften Einschübe über das gedrängte, beklemmende, gefährliche Leben der Walfänger auf ihren winzigen Schiffen haben Format. Hoare gelingt, eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie es sich angefühlt haben muss, wenn man in einer Nussschale auf dem Ozean dem Auftauchen seines ersten Wals entgegensieht. In diesem Augenblick fielen immer wieder Männer in Ohnmacht.

          Verständigung über Klick-Laute

          Wie ein guter Walfänger lässt auch Hoare nichts verkommen. Er beutet Melvilles Buch komplett aus, auch wenn ihn die schier endlose Bandbreite der sprachlichen Register und rhetorischen Mittel, die jener einsetzt, nicht so sehr interessiert. Dagegen erwärmt er sich stark für Melvilles homoerotisch grundierte Freundschaft mit dem Schriftsteller Nathaniel Hawthorne, dem „Moby-Dick“ gewidmet ist.

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