Peter Geimer: „Bilder aus Versehen“ - Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen. : Aus diesen Schlieren spricht der Geist der Toten
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Überraschungen aus der Dunkelkammer: Peter Geimer widmet sich anhand der Bilder aus Versehen grundlegenden Fragen des Mediums Fotografie.
1689 brannte ein Blitzeinschlag in einer Kirche eine Seite des Messbuchs in das Altartuch ein, ließ dabei aber die Worte zur Wandlung, "Dies ist mein Leib", aus - ein Zeichen, dem die Wunderqualität aber gleich wieder ausgetrieben wurde: Die fehlenden Worte waren nicht mit der ölhaltigen schwarzen, sondern in trockener roter Tinte geschrieben und hatten sich aus diesem schnöden Grund nicht abgebildet. Der problematische Ursprung des Lichtbildes, der die Debatte um die Fotografie in der Moderne prägen wird, ist bereits hier Thema. Ist das Bild ein Abdruck, ein evidentes Zeichen, oder ist es allein der Materialität des Prozesses geschuldet, ein schierer Effekt der Chemie?
Zufällige Lichtbilder, die mit oder auch ohne Kamera entstanden sind, nimmt Peter Geimer zum Anlass einer Studie über das epistemologische Potential der Fotografie. In der Diskussion um diese "Bilder aus Versehen", die aus der Geschichte der Fotografie ausgeschieden wurden, treten die Kriterien hervor, die den Korpus der "echten" Fotografie bilden: Eine Fotografie muss mit Absicht gemacht und dauerhaft fixiert worden sein, und es darf sich nicht um bloße durch Chemie erzeugte Muster handeln. Gerade die Zufallsbilder aber stellen das Schillern zwischen Evidenz und Artifizialität aus, das die Fotografie in besonderer Weise prägt.
Roland Barthes hat das Kleben des abgebildeten Gegenstands am fotografischen Bild wirkmächtig beschworen: In der Fotografie werde das Medium transparent, was wir sehen, sei die Sache selbst. Nun könnte gerade das Material, das Peter Geimer versammelt, dem Gegenargument zuarbeiten: dass wir es mit Bildern zu tun haben, die sich klar als Produkte von Chemie und Technik zu erkennen geben und daher nicht gleichzusetzen sind mit dem, was das Dargestellte jenseits der Darstellung ist. Zugleich aber gelten diese Bilder, die wie von selbst entstanden sind, wegen des Fehlens menschlicher Eingriffe als objektive Abdrücke.
Ideales Medium für Geisterabbildung
Statt sich im Streit um das wahre Wesen der Fotografie auf die eine oder andere Seite zu schlagen, fragt Geimer, wie es zu dieser Opposition kommt und was sie bedeutet, für das fotografische Bild, aber auch für die dargestellten Phänomene. Sichtbarkeit, ja Evidenz, wie sie die Fotografie verspricht, heißt auch Sichtbarmachen, und dieser Prozess tritt in seiner Störanfälligkeit gerade in den "Bildern aus Versehen" hervor.
Im Zusammenhang von Experimenten, in denen fotografische Bilder die Existenz von Phänomenen beweisen sollten, die ansonsten nicht sichtbar waren, bleiben theologische Bildfragen als Fragen nach dem wahren Bild latent. Die Obsession des späten neunzehnten Jahrhunderts für Strahlen fand in der Fotografie ein ideales Medium, wie die überaus populäre Geisterfotografie belegt. Aber auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen gab es Versuche, unsichtbare Ströme auf die fotografische Platte zu bannen, in der sogenannten Fluidalfotografie, die zur Aufzeichnung des "Lebensstroms" eingesetzt wurde. So galten verwischte Zonen um ein Knabenporträt als Spuren der Trauer um die tote Mutter, Spuren von Körperstrahlen, die nur im Medium der Fotografie anschaulich gemacht werden konnten.