Paul Brandenburg: Kliniken und Nebenwirkungen : Welchen Patienten hätten S’ denn gern?
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Bild: Fischer/Scherz Verlag
Chipvieh macht auch Mist: Paul Brandenburg führt durch den Dschungel des deutschen Krankenhauswesens. Ein Trostbuch sieht anders aus.
Was muss ich wissen, bevor ich mich für eine Operation entscheide? Wie kann ich den chronisch gehetzten Arzt auf mein Anliegen aufmerksam machen? Hat es einen Sinn, um Sterbehilfe zu bitten?
Der deutsche Krankenhausstandard erzeugt international immer noch Neid - und das zu Recht, meint der Mediziner Paul Brandenburg. Dennoch könnten Patienten in den durchrationalisierten, mit minimalem Personal betriebenen und in ständiger Konkurrenz zu anderen Häusern stehenden Behandlungsfabriken untergehen. Dagegen hat der Autor Tipps, Tricks und Hintergrundinformationen zusammengetragen, die beim Überleben in deutschen Krankenhäusern helfen sollen.
Ein Ratgeber, um Aufklärung bemüht
Gewürzt mit Anekdoten aus „der bizarren Komik des Krankenhauswesens“, erklärt Brandenburg knapp und alltagstauglich, warum man die eigene Diagnose nicht googeln und die passende Klinik nicht in der „Apotheken-Umschau“ suchen sollte. Und dass man, wenn sich denn gar kein Arzt blicken lässt, auch im Krankenhaus die 112 anrufen kann - oder zumindest damit drohen. Er zeigt, dass man ohne Hilfe eines Rettungsmediziners nie eine brauchbare Patientenverfügung zustande bringen wird, und berichtet mit geradezu poetischer Ader, wie es ist, wenn der Tod ins Zimmer tritt. Für Angehörige setzt Brandenburg, der neben Medizin auch Jura studiert hat, detailliert auseinander, wie man bei Verdacht auf Behandlungsfehler eine Leiche beschlagnahmen lässt.
Brandenburg will gute wie schlechte Krankenhausklischees zurechtrücken und erklärt dem Leser, dass dieser sich als gesetzlich Krankenversicherter zwar „liebevoll“ in die Kategorie „Chipvieh“ einordnen lassen muss, dass dieser Status aber auch seine Vorteile hat: Wenn es Sie einmal in eine Klinik verschlägt, wird zwar Ihr Zimmer hässlicher und Ihr Essen schlechter sein als das Ihrer privatversicherten Mitmenschen, dafür aber wird Ihnen auch die Chefarztbehandlung erspart bleiben. Und das sei durchaus ein Vorteil, denn für die Chefärzte der großen Kliniken sei die Patientenbetreuung allenfalls ein notwendiges Übel auf dem Weg zum nächsten Karriereschritt und ihre Motivation entsprechend.
Auch die Patienten sind gefragt
Doch in Brandenburgs Ratgeber geht es nicht nur um Tricks und Hinweise zu Softskills, die den Umgang mit Medizinern und Pflegepersonal erleichtern sollen. Alle Beteiligten bekommen ihr Fett weg: das überbürokratisierte Krankenhaussystem, die Ärzteschaft, die den Übergang vom militaristisch-hierarchischen zum kollegialen System bis heute nicht hinbekommen habe, das Gesundheitssystem, das einen großen Teil der Kosten für Erkrankungen aufwende, die auf Überkonsum und mangelnde Bewegung zurückgehen, ohne diese Übel bei der Wurzel zu packen - und auch die Patienten.
Denn diese sind nach den Erfahrungen des Autors nicht nur Opfer des Systems Krankenhaus, sondern tun bisweilen das Ihre dazu, alles nur noch schlimmer zu machen. Ahnungslosigkeit hinsichtlich der eigenen Vorerkrankungen macht bei Ärzten ebenso beliebt wie unnötige Besuche in der Notaufnahme, das Herumkommandieren der Krankenschwestern oder der Hinweis, der Schwiegersohn sei übrigens Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Medizinrecht. Stellenweise liest sich Brandenburgs Buch wie ein Ratgeber für Patienten, wie die Ärzte sie am liebsten hätten.
Wer einen Krankenhausaufenthalt nicht umgehen kann, nimmt das Ganze vielleicht gelassener, wenn er über einige Dinge im Bilde ist, hofft Brandenburg. Ihn selbst freilich, so berichtet der Klappentext, hat der Krankenhausalltag dazu gebracht, als Klinikarzt zu kündigen. Nach teils amüsanter, teils beklemmender Lektüre bleiben die Einsicht, dass man auch im Krankenhaus das Mitdenken nicht an der Pforte einstellen sollte, und die bange Frage, was geschieht, wenn man zu krank ist, um nachzufragen und die Übersicht zu behalten. Die bloße Tatsache, dass ein solcher Ratgeber nötig sein könnte, ist schlimm genug. Was Brandenburg jenseits der Versicherung, eigentlich seien fast alle Beteiligten ganz nett und bemüht, zu berichten weiß, ist insgesamt nicht gerade tröstlich.